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Vergangenheit, die nicht vergeht...
Das
Problem des Imparfait im Französischen
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Für mein
2. Staatsexamen 1985 entschloss ich mich zu einer Examensarbeit in Französisch
zum Thema „Imparfait und Passé composé“.
Die Examensarbeit umfasste eine grundsätzliche linguistische und didaktische
Analyse (theoretischer Teil) und darauf basierend die Ausarbeitung einer
entsprechenden Unterrichtsreihe für eine 9. Klasse (praktischer Teil), in der
damals das Imparfait eingeführt wurde.
Die
Arbeit hatte den vollständigen Titel
Die Einführung in den Gebrauch des Imparfait
im Französischen
Planung und Durchführung einer
Unterrichtseinheit in einer 9. Klasse (2. Fremdsprache)
und
wurde als Pädagogische Prüfungsarbeit im Juli 1985 im Studienseminar II in
Frankfurt/M. eingereicht und mit der Note 1 bewertet.
Der
Text wurde für die vorliegende Web-Veröffentlichung redaktionell überarbeitet,
Auslassungen und Veränderungen sind in eckigen Klammern kenntlich gemacht,
Kommentare von heute finden sich (kursiv) auf der linken Spalte, ebenso wie
Literaturverweise und die Originalseitenzählung.
Die Untersuchung basiert auf dem Stand von
Wissenschaft und Schulbüchern (Klett, Etudes françaises – Cours de base) von vor zwanzig Jahren. So mag man sich fragen,
was es bringt, dies jetzt noch im Internet zu veröffentlichen. Zunächst
einmal bleibt das Thema – Gebrauch von Imparfait
und Passé composé – weiterhin das Problem N°1 der
französischen Grammatik für deutsche Lerner und Lehrer. Wenn auch in den Lehrbüchern
seither ein Fortschritt zu verzeichnen ist, so sind das Thema wie auch das
Resultat meiner Untersuchung, die von mir damals aufgeworfenen
Fragestellungen zur Schulgrammatik sowie die aufgezeigten Lösungsansätze,
gleichwohl auch heute noch relevant. Die Quintessenz davon ist Grundlage
meines Merkblattes für Schüler, das ich regelmäßig im Unterricht ausgebe und
das sich ebenfalls auf dieser Website unter der Rubrik Schüler-Info
Französisch befindet.
Bei
Gelegenheit werde ich die hier vorgelegte Untersuchung von damals
aktualisieren, d.h. um eine Analyse der heute gängigen Lehrwerke ergänzen.
Ein erster Blick in neuere didaktische Standardwerke (Schulgrammatiken usw.)
zeigt, dass meine Analyse von damals immer noch aktuell ist.
Zum
Schluss der Einführung sei noch angemerkt, dass diese Seite meines
Website-Netzes neben der Seite zum Abitur am meisten aufgerufen wird.
Wolfgang
Geiger
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Siehe auch mein
Schüler-Info:
Passé composé und Imparfait - Die
wichtigsten Regeln für den Gebrauch
ÖSchüler-Info Imparfait
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Text als
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Wolfgang Geiger
Der
Gebrauch des Imparfait im Französischen
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© by the
author
1985/2004
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Auszug aus meiner 2. Staatsexamensarbeit (Theoretischer Teil),
eingereicht 1985 im Studienseminar II Frankfurt am Main.
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A.1.
A.2.
A.2.1.
A.2.2.
A.2.3.
Lit
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Inhalt:
Vorwort
A. Theoretischer Teil:
Zur Funktion des Imparfait im Französischen
1. Positionen der Linguistik
2. Zur Darstellung des
Tempussystems in deutschen Lehrbüchern
2.1. Imparfait
und Passé composé in deutschen Schulgrammatiken aus
linguistischer Sicht
2.2. Didaktische Überlegungen
zum Thema
2.3. Allgemeine Lernziele zur
Beherrschung des Zeitengebrauchs in der Vergangenheit
[...]
Literaturverzeichnis
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S. 2
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Vorwort
Der Gebrauch der Vergangenheitstempora Imparfait
und Passé composé (im folgenden
mit Imp. und P.c. abgekürzt), beziehungsweise Imp.
und Passé simple (P.s.) stellt eine der zentralen
grammatisch-syntaktischen wie auch semantischen Strukturen der französischen
Sprache dar. Für den Zweitspracherwerb des Französischen ist das Problem
ihrer adäquaten Anwendung ebenso wichtig wie schwierig, insbesondere für
Lernende, deren Muttersprache aus dem Bereich der germanischen Sprachen
(hier: Deutsch) kommt. Selbst derjenige, der Französisch als Fremdsprache an
sich gut beherrscht, wird oft vor Entscheidungssituationen im Gebrauch der
beiden Formen gestellt, die er nicht mehr über das erworbene Sprachgefühl,
die internalisierte Sprachkompetenz, sondern nur über die kognitive
Anwendung des erlernten Regelsystems lösen kann. Scheinbare Parallelen zum
Deutschen als Muttersprache oder Englisch als erster Fremdsprache führen
darüber hinaus zu Interferenzen und falschem Sprachgebrauch, zumindest in der
Anfangsphase des Lernprozesses.
Für den Zweitspracherwerb des Französischen stellt der richtige
Gebrauch von Imp. und P.c./P.s. wohl das größte
(Einzel-)Problem dar, da man es in der freien Rede wie in der schriftlichen
Sprachproduktion nicht umgehen kann, etwa, wie man zum Beispiel den Gebrauch
des Subjonctif auf die bekannten und leicht
erlernbaren obligatorischen Fälle nach „il faut“ und „bien
que“ etc. reduzieren kann, indem man subjektiv
„unklare“, d.h. schwierige Situationen von vorneherein zu vermeiden sucht.
Dergleichen ist beim Gebrauch des Tempussystems nicht möglich: jede
Produktion eines narrativen Textes in der Vergangenheitsstufe wird mit diesem
Problem konfrontiert, und da potenziell jeder narrative Text, ob
mündlich oder schriftlich, von Vergangenem erzählt, steht das Problem des
Zeitengebrauchs im Zentrum des erweiterten Sprachgebrauchs, des elaborierten Codes, schlechthin.
Das Erlernen, bzw. das Lehren des Gebrauchs des Imp.
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S. 3
L. Jung, „Didaktische Grammatik als
Modell zwischen Linguistik und Fremdsprachenunterricht“, in: Bausch, Beiträge zur Didaktischen Grammatik,
1979.
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gegenüber dem P.c. (- das P.s. wird
im Rahmen der vorliegenden Untersuchung weitgehend außer Betracht bleiben)
stellt sich grundsätzlich auf drei Ebenen:
Erstens ist der Gebrauch des Imp. selbst für Muttersprachler nicht
immer eindeutig von einem objektiven Regelsystem deduzierbar, weil er ein
subjektives Element enthält, das im „code oral“
über das Sprachgefühl geregelt wird und das sich literarisch als Stilmittel
niederschlägt.
Zweitens müssen die o.g. (falschen)
Interferenzen beim Fremdsprachenerwerb berücksichtigt werden (bzw. die
Inkommensurabilität der sprachlichen Strukturen).
Drittens ergeben sich aus dem Aufbau des schulischen Lehrplans und
entsprechend der zugrundeliegenden Lehrwerke zusätzliche didaktische Probleme
für die Einführung des Imp. und seines Gebrauchs.
Bei der Betrachtung dieses Problems vom linguistischen zum
didaktischen Gesichtspunkt möchte ich im Wesentlichen der Vorgehensweise
folgen, die Lothar Jung als Schritte zur Didaktisierung der Grammatik
aufgestellt hat (cf. Jung, 48ff.) :
1. Analyse der linguistischen Grammatiken
2. Analyse der Schulgrammatiken
3. Fachdidaktische Auswertung des linguistischen Angebots
4. Erstellung einer Didaktischen Grammatik.
Der letzte Punkt bedeutet für die vorliegende Fragestellung:
Didaktische Planung der Unterrichtsreihe zur Einführung in den Gebrauch von
Imp. und P.c.
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S. 4
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A. Theoretischer Teil:
Zur Funktion des Imparfait im Französischen
1. Positionen der Linguistik
Die Funktionsbeschreibung des Imp.,
bzw. seine Abgrenzung zu P.c. und P.s., ist
auch eines der meist diskutierten Probleme zwischen Linguisten und
Verfassern von Grammatiken. Die Schwierigkeiten beim Erlernen des Französischen
als Fremdsprache entsprechen den Schwierigkeiten, die Franzosen nicht mit
Gebrauch, sondern mit der Beschreibung dieses Gebrauchs von Imp. und P.c. haben. Kein grammatisches Problem scheint sich so
der Einordnung in ein klares Regelsystem zu entziehen wie der Zeitengebrauch
der Vergangenheit. Dabei spielen Unterschiede zwischen gesprochener und
geschriebener Sprache eine zentrale Rolle, auf die u.a.
später einzugehen sein wird.
Zunächst einmal sollen die Funktionsbeschreibungen des Imp. in
einigen französischen Grammatiken näher betrachtet werden.
1. Die Autoren der Grammaire Larousse von 1964 definieren das Imp.
grundsätzlich folgendermaßen:
„Il.est apte à traduire l’action non
achevée (aspect non accompli).
II convient parfaitement ä l’expression de
la durée de l’action, dont il ne marque ni le début ni la fin. C’est
pourquoi on peut le qualifier de ‘présent dans le passé’.“ (Chevalier et al., 341).
Diese „durée“ wird dann im folgenden
näher qualifiziert, sie kann beinhalten:
- „la conséquence (envisagée dans sa
continuité) des faits antérieurs“, die im P.s. erzählt
werden;
- „la succession en série“, die in aufeinanderfolgenden Imparfaits
erzählt wird;
- die Dauer einer Handlung gegenüber einer kürzeren, im P.c. erzählten (parallelen) Handlung, (cf. a.a.O., 314f.).
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S. 5
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Im literarischen Bereich erlaubt das Imp. dem Sprecher, bzw.
Autor oder Erzähler, eine im P.s. erzählte Handlung zu kommentieren;
E: Le juge alluma une cigarette. La fièvre donnait
au tabac un gout de miel. II écrasa
sa cigarette. (Vailland) . (cf.a.a.O., 341).
Interessanterweise verstehen die Larousse-Autoren
bei diesem Beispiel das im Imp. beschriebene Faktum
nicht als eine Eigenschaft des Tabaks, bzw. der veränderten Empfindung durch
die betreffende Person in der Erzählung, sondern als eine Wertung des
Erzählers.
Folgerichtig erkennen die Autoren einen ganzen Bereich literarisch
bestimmten Imp .-Gebrauchs , den sie „l’imparfait de style indirect“
benennen:
E: II lui dit très vite qu'il lui demandait
pardon.(Camus).
Man kommentiert:
„Dans les récits s’entremêlent souvent imparfaits descriptifs et imparfaits
de discours indirect libre.“ (a.a.0., 343). „Discours indirect libre“ wird in der Gramrnaire Larousse
prinzipiell mit „style indirect libre“
gleichgesetzt (cf .a .a .0. ,
342) , bei diesem Beispiel handelt es sich jedoch um einen „discours indirect“. Diese
folgenschwere Begriffsverwirrung wird später an einem anderen Beispiel
eingehender zu betrachten sein.
Jedenfalls geht für die Larousse-Autoren
aus diesem literarischen Kontext auch die „valeur
modale“ des Imp. hervor, die dann in den irrealen Bedingungssatz führt.
E: Elle mit la main sur le loquet... un pas
de plus, elle était dans la rue.(Hugo) . (cf. a.a.O. y
343).
Hier wird deutlich, daß dieses Imp.
das Conditionnel ersetzt: „... un
pas de plus, elle serait dans la rue“,
könnte man ebenso schreiben, oder das Ganze in die Form des irrealen
Bedingungssatzes bringen:
E: Si elle faisait un pas de plus, elle
serait dans la rue.
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S. 6
Wagner/Pinchon, Grammaire
du français classique et moderne, 1962.
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2. Wagner und Pinchon bezeichnen die Funktion des
„présent dans le passé“ als „imparfait narratif ou
descriptif“, das Handlungen
in ihrem Verlauf
(déroulement), in ihrer Folge
(succession) oder in ihrer
Dauer (durée) beschreibt,
aber: „Lfimparfäit y convient aussi bien
à lfexpression de procès ponctuels que
de procès durables (...)“ (Wagner/Pinchon, 361). Obwohl sie die
eingangs aufgestellte Regel (durée etc,) also
sofort wieder infragestellen, dies aber dann nicht
weiter begründen, versuchen die Autoren diese Regel näher zu qualifizieren:
zum einen stellen sie einen unmittelbaren Bezug zwischen Imp. und dem Sinn
bestimmter Verben her, die sie als „verbes de sens imperfectif“ bezeichnen (a.a.O., 362), und geben folgende Liste von generellen
Eigenschaften dieser Art: „habitude, progression, succession, répétition.“ Bringt man ein „verbe
de sens perfectif“
in das Imp., so ergibt sich daraus eine beabsichtigte „discordance“, z.B.:
E: En 1802, naissait à Besançon ...
Louis Gillet, qui mourait à Paris ... (cf. a.a.O.,
362).
Dieser regelwidrige Gebrauch des Imp. hängt nach Wagner/Pinchon trotzdem mit einem Aspekt des Regelsystems
zusammen, der Beschreibung von unvollendeten Vorgängen im Kontrast zu P.s. oder P.c.. Die Funktion dieses Kontrastes - vor allem in den oben
gewählten Beispielen! - wird von den Autoren allerdings nicht klar definiert:
einmal kann die im Imp. erzählte Begebenheit einer im P.s. erzählten Handlung vorausgehen, ein andermal
nachfolgen, oder auch parallel dazu verlaufen. Doch welche Charakteristik
folgt aus diesen Möglichkeiten? Andere Möglichkeiten gibt es doch gar nicht -
eine Regel kann sich also daraus nicht herleiten. Hier offenbart sich ein
zentrales Problem vieler Grammatiken: man ersetzt die Regeldefinition durch
die Häufigkeit von Beispielsätzen. Ein weiteres Kriterium der Funktionsbeschreibung
des Imp. wirft auch mehr Fragen auf, als es beantwortet. Ähnlich wie bei Larousse versuchen auch Wagner und Pinchon,
über das Imp. des „style indirect libre“ eine nähere Bestimmung des Imp. in der „proposition subordonnée“
herzuleiten. Zu diesem Punkt heißt es:
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S. 7
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„L’ imparfait fonctionne avec la valeur
d’un présent dans le passé,
1. dans les propositions subordonnées
relatives:
E: L’homme, une espèce de maure,
saisit un pistolet qu’il étreignait encore.
(Hugo) .
2. dans les propositions subordonnées
circonstancielles de temps, de cause, de conséquence:
E: Je souris parce que j’étais joyeux,
parce que cette maison, décidément, à chaque minute, me plaisait plus.
(...) .“ (a.a.O. , 365) .
Die Gruppierung dieser Beispiele unter der Überschrift „L’imparfait dans les propositions subordonnées“
evoziert eine funktionelle Definition des Imp. durch seinen syntaktischen
Platz. Weitere Erklärungen werden nicht gegeben und diese bleibt daher unbefriedigend,
denn wieso haben die beiden Imp. formen in Beispiel 2 eine andere Funktion
als die, die schon oben für den „sens imperfectif“ gegeben wurde, wonach „j’étais
heureux“ ein im Vergleich zu „je souris“ länger anhaltender, unbegrenzt betrachteter Zustand
(mit kausaler Verknüpfung) wäre, und „me plaisait plus“ der Definition der „progression“
entspräche?
Dieselbe Frage stellt sich für
das anschließende Kapitel „L’imparfait dans les conjonctives par que
après les verbes du sens de dire, croire, demander
etc. :
E : Comparer
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je pense qu’il dit cela de bonne
foi.
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je pense qu’il disait cela de bonne
foi.
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La seconde phrase implique que si j’avais
été là au moment où il parlait, j’aurais pensé: il parle de bonne foi.“ (ebd.) .
Der Beispielsatz 2 erscheint mir zwar auch adäquater, doch die
gegebene Erklärung befriedigt nicht.
Noch weniger einleuchtend ist ein anderer von Wagner/ Pinchon gegebener Beispielsatz:
E: Je crois que je l’aimais.
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S. 8
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Zur Erklärung des Imp. bedarf es hier überhaupt keiner
syntaktisch legitimierten Funktionsbestimmung, es ist das schlichte Imp, in Verbindung mit einem „verbe
de sens im-perfectif“,
zusätzlich verstärkt durch die Unterordnung unter eine Aussage genereller Bedeutung.
Nicht der syntaktische, sondern der semantische Bezug ist hier ausschlaggebend.
An diesen wenigen Beispielen wird deutlich, wie schwer sich
Linguisten bei der Erfassung und Bestimmung aller Imp.möglichkeiten
tun, wenn sie daraus ein objektives Regelsystem herleiten wollen.
3. Als drittes Beispiel „klassischer“ Grammatiken sei die Grammaire pratique du francais dfaujourdfhui
von Mauger angeführt. Aus der Grundfunktion
des Imp, zur Beschreibung von dauerhaften Zuständen
leitet Mauger die Definition des Imp. als „temps de la description du
passé“ gegenüber P.c./ P.s.
als „temps de récit“ her
(Mauger, 242). Dies wird am folgenden Beispiel
deutlich:
E: On criait, on s’injurait, on se battait
(= description),
On cria, on s’injura,
on se battit (= narration de faits successifs). (ebd.)
Der zweite Satz evoziert in der Tat die Vorstellung von
aufeinanderfolgenden, abgeschlossenen Handlungen, während der erste eher die
Simultaneität, die Gewohnheit oder einen länger andauernden Zustand
impliziert, Mauger führt „répétition“,
„habitude“ und „simultanéité“
als Komponenten der „durée“ an, wobei das Imp.
eine Hintergrundhandlung charakterisiert, die im Vergleich zu eintretenden
Handlung des „récit“ als unabgeschlossen gesehen
wird. Auch Mauger versucht, die Funktion des Imp.
im „stvle indirect
libre“ über die „concordance
des temps“ herzuleiten:
E: II disait que son fils était hors
de danger. (a.a.0.,243)
Maugers Begründung für „était“ ist jedoch nicht hinreichend; sollte es denn
keine „subordonnées“ geben, in denen P.s. oder P.c. stünden? Dies
scheint mir nicht halt-
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S. 9
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bar. Die zweifellos vorhandene Häufung des Imp. in Nebensätzen resultiert
m. E. aus der inhaltlichen Relation zwischen den Elementen einer Erzählung
in der indirekten Rede in der Vergangenheit: nicht der „style indirect libre“, sondern der „discours indirect“ bestimmt
hier das Imp.! Die Verwechslung beider Formen (wie bei Larousse,
siehe oben) unter Einschluß der Gleichsetzung von „code oral“ und „code écrit“ kommt bei Mauger
deutlicher zum Ausdruck als bei den anderen Autoren. Es läßt
sich an einem weiteren Beispiel verdeutlichen, das ich ausgewählt habe, und
wo das Verb einen deutlicheren Tätigkeitsaspekt hat:
E: II dit: „J’écris une lettre.“
II a dit qu’il écrivait une lettre.
Der Satz „Il a dit qu’il
a écrit une lettre“ hätte eine ganz andere Bedeutung. Er setzte einen
kontextuellen Bezug zur Gegenwart voraus, das P.c.
würde hier nicht in seiner primären Eigenschaft als Tempus der Vergangenheit
auftreten, sondern in seiner Eigenschaft der Erklärung von etwas Bestehendem
oder Gegenwartsbezogenem durch eine vorangegangene kausale Handlung.
Deutlicher wird diese Eigenschaft des P.c. im
Vergleich mit dem P.s., das diese Funktion nicht haben kann. Ein berühmtes
Beispiel ist der Satz:
E: Christophe Colomb découvrit l!Amerique.
/ Christophe Colomb a découvert
l'Amerique.
Mit anderen Worten: im Regelfall wird die „proposition
subordonnée“ des „discours
indirect“ im Imp. oder Plus-que-parfait
(bei Vorzeitigkeit) stehen, weil sie gegenüber dem Hauptsatz die Hintergrundhandlung
mit zwangsläufiger relativer Dauerhaftigkeit oder zeitlicher Unbestimmtheit
gegenüber der Vordergrundhandlung „il a dit / demandé etc.“ ausdrückt.
Aus: E: II dit: „Je vais partir dans dix
minutes.“
kann nur werden: E: II a dit qu’il allait partir dans dix minutes.
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S. 10
G. Mauger, Grammaire
du français d’aujourd’hui, 1968.
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Der Übergang zwischen „discours indirect“ und „style indirect libre“ ist fließend. Die Grammaire Larousse gibt interessanterweise eine
eigene Übergangsform zwischen beiden an: den „discours
indirect libre“ (cf. Chevalier et al., 122), die die Vordergrundhandlung
„il a dit etc.“ wegläßt,
aber weiterhin impliziert. Für die Betrachtungsweise des Imp. führt dies
allerdings nur noch zu mehr Verwirrung (siehe oben) .
Trotz dieses fließenden Übergangs zwischen „discours
indirect“ und „style indirect
libre“ führt deren Gleichsetzung im Hinblick auf
den Imp.gebrauch zu falschen Schlußfolgerungen.
Die Beispiele der oben behandelnden Grammatiken belegen dies. Zweifellos
berichtet jeder Erzähler meistens von (vor-)vergangenen Ereignissen, weswegen
sich auch häufig Imp. und Plusqueparfait
austauschen lassen (cf. Mauger,
244), die Erzählzeit des impliziten Autors einer Novelle oder eines Romans
ist dagegen das P.s. oder P.c.; nicht alle „subordonnées“ stehen im Imp. Viel interessanter ist in Maugers o.g. Beispiel „II disait que son
fils était hors de danger“ nicht das Imp.
„était“, sondern das Imp. „disait“!
Mauger gibt dazu keine Erklärung. In den meisten
Fällen von „disait“ hat das Verb m.E. die Bedeutung des deutschen „meinen“: „II disait que...“ –„Er meinte, daß...“. Ob dies für Maugers
Beispiel zutrifft, kann ohne kontextuellen Bezug leider nicht gesagt werden.
Eine weitere Rolle des Imp. nach Mauger
ist die „expression de faits
ponctuels“, die Maugers
eigener vorangegangener Definition und auch der landläufigen Vorstellung
vollkommen widerspricht, besonders in dem Beispiel:
E: A
9 h l’avion décollait; à 10 h il atteignait Nancy; à 11 h il atterrissait à
Munich. (a.a.O., 244).
Eine inhaltliche Begründung für dieses Beispiel, das sich ganz
und gar der oben angegebenen Funktion des P.s. als Beschreibung von
aufeinanderfolgenden Handlungen widersetzt, gibt Mauger
nicht. Seine Beschreibung bleibt phänomenologisch. Er stellt den
literarischen Bezug bestimmter Phänomene dieser Art her, die vor allem in
der Literatur des 19. Jahrhunderts auftraten (allerdings nicht das angeführte
Beispiel).
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S. 11
M. Grevisse,
Le bon usage, 111980.
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4. Einen etwas anderen Ansatz liefert Grevisse
in seinem alten „Klassiker“ der Grammatik, Le bon usage.
Wie der Titel schon andeutet, geht es dem Autor im Gegensatz zu den meisten
anderen Autoren, nicht mehr primär um die (mehr oder weniger adäquate)
Klassifizierung aller Erscheinungen des Imp.gebrauchs,
sondern um ein normatives Regelsystem, das Ausnahmen zuläßt
(darin liegt sein Vorteil), aber oft negativ qualifiziert (darin liegt der
Nachteil), es sei denn, sie sind literarisch.
Grevisse stellt zunächst
eine Reihe klarer Imp.funktionen vor:
„1. Un imparfait d’habitude ou de
répétition
2. de duree
3. de fausse simultaneite
4. de description
5. de progression
6. d’explication
7. du style indirect
libre
8. de cause
9. de tentative.“ (Grevisse, 834).
Punkt 3 charakterisiert die Tendenz des Imp., andere Zeiten und
Formen zu ersetzen:
E: Mes craintes se calmèrent: dans deux
heures, du renfort arrivait (- allait ou devait arriver). (ebd.).
Punkt 4 faßt verschiedene Imparfaits zusammen, die auch anders erklärt werden
könnten:
E: II neigeait.
On était vaincu par sa conquête.
Pour la première fois l’aigle baissait la
tête.(Hugo).
(cf .ebd.).
Allein das dritte Beispiel trifft für diese literarische
Charakterisierung zu. Das erste kann besser mit Kategorie Nr.2 erklärt
werden, das zweite wäre ein besonders zu behandelndes Thema, die Affinität
des Passivs zum Imp., auf das jedoch keiner der
genannten Autoren zu sprechen kommt.
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S. 12
F. Brunot, La Pensée et
la Langue, 1926.
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Punkt 8 charakterisiert wie Punkt 3 eine „fausse
simultanéité“, deren Bezug logischer und nicht
(nur) zeitlicher Art ist:
E: Elle s’évanouissait; on la porta devant
la fenêtre.
Bei diesem Beispiel hat wahrscheinlich „s’évanouir“
weniger den Aspekt des „ohnmächtig werden“ als des „ohnmächtig bleiben“. Die
Erklärung dieses Falles als „imparfait de cause“
bleibt fragwürdig, da er nicht generalisierbar ist. Oder sollte man sich
vorstellen, daß alle kausalen Umstandsbestimmungen
im Imp. zu stehen hätten?
Ähnliches gilt auch für Punkt 9, auf den ich hier nicht weiter
eingehen möchte.
Grevisse geht jedoch
außerdem auf die historische Entstehung und Verwendung des Imp. ein: das „imparfait narratif“ oder „historique“ oder „pittoresque“.
Er erklärt es mit dem beabsichtigten literarischen Stil vor allem von Autoren
des 19. Jahrhunderts. Diese Sonderfälle des Imp. bleiben also der Literatur
vorbehalten, sie sind nicht generalisierbar und stehen mithin außerhalb des
Regelsystems im engeren Sinne.
Es lohnt, den historischen Blick auf das Imp. etwas zu
vertiefen. Brunot gibt einen recht interessanten Abriß über die Geschichte des Imp.:
„Le rôle de cette forme temporale n’a cessé
de grandir. Dès le Xllème siècle (...) l’imparfait
entrait peu à peu en possession de son rôle de présent dans le passé. (...)
Au seuil du XVIIème siècle, Maupas et Oudin
établirent des distinctions très nettes entre les deux temps:
Si deux actions intervenues en même temps
sont d’égale durée, elles sont toutes deux à l’imparfait. Si l’une est de
longue durée, l'autre de courte, la seconde se met au passe simple, la
première à l’imparfait. (...) Depuis lors, de nouveaux progrès (...) ont fait
de ce temps un élément essentiel de notre système temporel.“ (Brunot, 773f.).
Von Oudin nimmt Brunot
folgenden Satz auf, der die beiden o.g.
Hauptaussagen bestätigen soll:
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S. 13
O. Ducrot, „L’imparfait en français“, in : Linguistische Berichte 60/1979.
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E : J’estois
hier chez Monsieur et comme je l’entretenais, il me dit qu'il vouloit partir dans peu de jours, ce que je ne lui
conseillay pas.(cf
.a .a.0 ., 774).
Man könnte nun hier fragen, ob „estois“
und „entretenais“ beide im Imp. stehen, weil sie
von gleicher Dauer sind (wie von Oudin formuliert
und von Brunot übernommen), oder ob sich hier
andere Begründungen für den Gebrauch des Imp. finden lassen, die den Umkehrschluß und damit die Regelbildung zuließen, denn:
ist es nicht eher der Zustand (unter seinem Aspekt der Unabgeschlossenenheit im Kontext der Erzählung und als
deren „Hintergrund“), den beide genannten Formen ausdrücken, als ihre
Parallelität, die das Imp. erfordert? Mit anderen Worten: rnüßten
nach der Regel von Oudin und Brunot
tatsächlich alle parallelen Handlungen (nicht nur Zustände) im Imp.
stehen? Oswald Ducrot, der der neueren Richtung
innerhalb der Linguistik zuzuordnen ist (wovon noch die Rede sein wird),
erhebt hier zurecht den Einwand:
„F. Brunot décrit l'imparfait comme le
moyen d’exprimer la contemporanéité de deux actions. II est évident que cette
propriété de l!imparfait ne peut pas
en constituer une definition generale,
les contre-exemples étant innombrables.“ (Ducrot, 12; Hervorheb, von mir,
W.G.).
Brunot gibt darüberhinaus folgende Funktionsbeschreibung des Imp. im
modernen Sprachgebrauch (d.h. 1926); er unterscheidet dabei zwischen
grundsätzlichem „emploi propre“, der folgende
Fälle kennt:
- Ausdruck von „contemporanéité, - circonstances
- situation
- milieu, où l’action se produit.
- style indirect libre, observation,
commentaire de l’auteur.“ (Brunot,
774f.), und den Aspekten des Imp.:
- „l’aspect de durée dans le passé. de
répétition, d’habitude de progression.“ (a.a.O., 777f.).
Die erste Kategorie, die grundsätzliche Funktion des Imp.,
leitet sich historisch her (siehe oben), da die literarische Verwendung die
einzige Quelle über den früheren
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S. 14
A. Sauvageot, Français
écrit – français parlé, 1962.
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Sprachgebrauch darstellt, bietet aber auch ein weitgehend objektiviertes
Regelsystem.
Die zweite Kategorie unter der Betonung des Aspekts bietet
dagegen einen relativen, sich von Kontext zu Kontext ändernden Rahmen und
erlaubt dem Sprecher daher einen weitgehend subjektiv beeinflußten
Gebrauch des Imp. - subjektiv will hier allerdings nicht „willkürlich“
meinen, sonst wäre die Differenzierung zwischen den Zeitformen ja sinnlos,
sondern es bedeutet vielmehr, daß der Sprechern mit
der Wahl der gebrauchten Form dem Satz eine bestimmte implizite, konnotative
Aussage verleiht, die nicht durch zusätzliche Umstandsbestimmungen der Dauer,
Wiederholung etc. bestärkt zu werden braucht (aber kann).
Mit Brunot kann man trotz dieser
Ambivalenz verschiedener Betrachtungsweisen eine klarere Differenzierung zwischen
der syntaktischen Lokalisierung des Imp. und der semantischen Bedeutung der
im Imp. stehenden Verben treffen. Es ist interessant, daß
diese, wenn auch nicht erschöpfende, so doch notwendige Differenzierung bei
den Linguisten und Grammatikern noch der 60er Jahre (siehe oben) weitgehend
hinter der phänomenologischen Erfassung aller Imp.möglichkeiten
verloren gegangen ist. Ich möchte nur auf die Versuche von Wagner/Pinchon einerseits, Mauger
andererseits, hinweisen, eine Funktion des Imp. aus dessen Lokalisierung im Nebensatz
herzuleiten.
Es lohnt, an dieser Stelle die Untersuchung von Sauvageot zu Français
écrit, français parlé aus dem Jahre 1962 in unsere Überlegungen
einzubeziehen. Wie schon deutlich wurde, hängt das Problem der Streuung der Imp.möglichkeiten mit deren „literarischer Omnipräsenz“ zusammen, wonach sich wahrscheinlich für
jede mögliche oder „unmögliche“ Situation ein Imp. irgendwo in der Literatur
finden und wohl auch kontextuell begründen ließe, wie Ducrot
meint: „II n’y a guère de
cas où la ‚bizarrerie’ de l'imparfait ne disparaisse si on imagine une situation
d’énonciation adéquate.“
(Ducrot, 1).
Sauvageot stellt fest, daß man im gesprochenen Französisch mehr Wert auf eine
durch Umstandsbestimmungen ergänzte Verwendung des Imp. legt als im geschriebenen
Fran-
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S. 15
„Past progrerssive“:
Diese
Parallelität sollte man zu einer fächerverknüpfenden
Grundlage des Fremdsprachenunterrichts machen.
H. Stammerjohann,
Französisch für Lehrer, 1983.
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zösisch. Eine
herausragende Stellung nimmt hier insbesondere die Wendung „Etre en train de faire qc“ ein.
„Un premier trait frappe: l’importance que
la langue parlée semble attribuer à l’expression du temps simultané. Pour ce
qui est du présent, par exemple, nous recourons volontiers à une forme
périphrastique:
E: Je ne veux pas le déranger, il est en
train de manger.
Cette construction, qui répond assez à la
‚progressive form’ de l’anglais, signale que
l’action dont il s’agit est en cours de déroulement. Nous la transposons
aussi bien au passé que dans le futur:
E: Nous avons dû attendre, elle était en
train de faire sa toilette.
N’arrivez pas trop tôt, ils seront encore
en train de dîner.
Les linguistes ont accoutumé d’appeler ce mode
d’expression du temps un ‚imperfectif’, s'inspirant en cela des définitions
connues en grammaire slave, et notamment en grammaire russe.“ (Sauvageot, 89f.).
Der Hinweis auf parallele Strukturen in den slawischen Sprachen
ist für die Linguisten insofern interessant, als sich hier Vergleiche
erlauben, die mit anderen Sprachen nicht möglich sind. Da das Aspektsystem im
Russischen eindeutiger definiert scheint als im Französischen, ist es aufschlußreich, daß die
russischen Linguisten das französische Tempussystem der Vergangenheit mit
ihrem Aspektsystem erklären. Die Rezeption dieses Problems durch die
russischen Linguisten und ihre didaktischen Konsequenzen sollten daher auch
westeuropäische Linguisten interessieren, worauf unter anderem H.G. Klein
insistiert (op. cit., 84). Allerdings wirft Stammerjohann
zurecht ein: „Das ist sehr richtig, aber in welchem
Maße immer man im Französischen von Aspekten reden möchte - deutsche
Lehrbuchautoren können sich auf keine Analogie berufen, weil das Deutsche
kein dem Russischen vergleichbares Aspektsystem kennt.“ (Stammerjohann,
59). Man könnte noch hinzufügen, daß die-
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S. 16
|
ser Vergleich ohnehin nur
demjenigen zu helfen vermag, der Russisch ebenso beherrscht uie Französisch. Dies jedoch nur am Rande.
Untersuchungen über die Verwendung des Imp. im gesprochenen
Französisch wie die von Sauvageot (1962) sind insofern
von Bedeutungf als sie Indizien dafür
liefern, daß der „code
oral“ die semantische Bedeutung des Imp. deutlicher hervorhebt als der „code écrit“;
„(L’imparfait) exprime la simultanéité dans
le passé* mais il est concurrencé dans cette fonction par la forme
périphrastique ...en train de..., qui a le défaut de ne pouvoir lui faire
concurrence qu’en se construisant elle-même avec l'imparfait du verbe être:
E: Ils étaient en train de dîner quand
l’alerte a été donnée. Ils dînaient quand l’alerte a été donnée.“ (Sauvageot, 92) .
(* Mit der Gleichzeitigkeit ist nicht die
gleiche Dauer gemeint.)
Mit der Reduzierung der Handlung (hier: „dîner“)
auf eine Konstruktion „être en train
de“, in der „être“ die einzig konjugierte Form ist,
wird der Handlung ihr eigentlicher Charakter als Handlung genommen
und auf eine als Zustand empfundene Situation reduziert.
"Le recours à la périphrase avec ...en
train de... a donc l’avantage, malgré tout, d’éliminer toute ambiguité:
E: II était en train de boire.
décrit une action en cours de déroulement,
alors que la formule « il buvait » demeure ambiguë tant qu’elle
n’est pas complétée par quelque addition appropriée.“ (a .a.0., 93f.)
Mit dieser Feststellung gibt jedoch Sauvageot
implizit zu (- er kommt darauf nicht zu sprechen -), daß
die Umschreibung mit „en train de“ zwar den
auszudrückenden Tatbestand präzisiert, aber auch die Bedeutungsvielfalt des
Imp. einschränkt.
„En train de“ konkretisiert also nur
einen bestimmten Aspekt des Imp., aber wohl
denjenigen, der am häufigsten vorkommt. Seine Verbindung mit „être“ bestärkt den imperfektiven
Charakter des Hilfsverbs. Einige Frequenzuntersuchungen haben folgende
Häufigkeitsverteilung des Zeiten-
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S.17
G. Zimmermann, Grammatik im Fremdsprachenunterricht, 1977.
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gebrauchs von „être“ ergeben:
Imp. P.s.. P.c.
1551 267
313
=580
(cf. Julliand
et al., Frequency Dictionary of French Words, The Hague / Paris 1970, zit. nach Stammerjohann, 51).
Das Imp. von „être“ ist also ungefähr
dreimal so häufig wie Formen des P.s./P.c.
Die Beobachtung von Sauvageot
bezüglich der Wendung „en train de“ habe ich in
keiner Schulgrammatik wiedergefunden, obwohl sie eindeutig eine große
didaktische Bedeutung hat, davon aber mehr später.
Zweifellos ist Sauvageots Ansatz noch
nicht ausreichend für eine adäquate Beschreibung des Imp.gebrauchs
im „code oral“. Er hat aber den Vorteil, daß sich aus der Tendenz der Sprecher, ihre Aussage mit
dem genannten Hilfsmittel zu verdeutlichen, eine klarere
Funktionsbeschreibung ergibt als aus der oft spekulativen Interpretation
literarischer Texte. Ein historisierender Ansatz
kann bei der Untersuchung solcher grammatischer Probleme oft hinderlich
sein. Wir haben gesehen, daß der Gebrauch des Imp.
relativ jungen Datums ist, und man kann unbesehen davon ausgehen, daß der Imp.gebrauch des 20.
Jahrhunderts nicht mehr dem des 17. Jahrhunderts entspricht und wahrscheinlich
auch nicht dem des literarischen Imp. des 19. Jahrhunderts.
Traditionelle Schulgrammatiken legen jedoch großen Wert auf den
sprachgeschichtlichen Zusammenhang und sind oft sehr normativ. Dies gilt für
die Grammatiken in Frankreich und Deutschland bis Ende der 60er Jahre (cf. Zimmermann 1977, 7ff.). Beschreibungen des Status
quo einer Sprache - insbesondere unter Berücksichtigung der Unterschiede
zwischen „code oral“ und „code
écrit“ - können daher mit Phänomenen konfrontiert
werden, die das traditionelle Regelsystem nicht zu erklären vermag, oder
zumindest nur unbefriedigend.
„Die Interessen der traditionellen Grammatik lagen im Auflisten
morphologischer Kategorien zum Zwecke des paradigmatischen Spracherwerbs.
Dabei wurden die Kategorien
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S. 18
H.G. Klein, Tempus, Aspekt, Aktionsart, 1974.
|
nach apriorischen Modellen der lateinisch-griechischen
Grammatiken benannt und eingeordnet. Aufgabe der Syntax war es, Verwendungshinweise
zu geben und Ausnahmen aufzuweisen.“ (H . G. Klein, 17).
Kritiker werfen der traditionellen Grammatik diese Applizierung
des „grammatischen Kategorialsystems der lateinischen Sprache auf andere
Sprachen mit andersartiger Struktur“ vor, weil daraus „unangemessene
Beschreibungen resultierten; sie vermenge verschiedene Ebenen der Deskription
(...).Weiterhin konzentriere sie ihre Bemühungen auf partikuläre Gebiete der
Grammatik und versäume es, auf einheitliche, zusammenhängende, explizite
Erklärungen hinzuarbeiten; sie trenne Phonetik, Grammatik (Morphologie und
Syntax) und Lexikologie, sie beschreibe nicht den gegenwärtigen Zustand der
Sprache, besonders der gesprochenen, sie verhalte sich präskriptiv,
normativ. Sie lasse zudem eine konsistente, in sich widerspruchsfreie Theorie
vermissen.“ (Zimmermann 1977, 11).
Mit der Differenzierung der romanischen Sprachen vom Latein und
auch von einander haben sich zunehmend Adaptionsschwierigkeiten des
klassischen Modells der Grammatik eingestellt. Neuere Forschungsansätze wie
die von Ducrot und H G. Klein (um nur die zu
nennen, auf die sich die vorliegende Untersuchung vorwiegend beruft) gehen
daher dahin, dieser historischen Entwicklung auch epistemologisch Rechnung
zu tragen und das alte Tempusmodell ganz in Frage zu stellen. Ein Stichwort
dazu lieferte u.a. H.G. Klein (- der an Vorarbeiten
z.B. von Weinrich anschloß
-) mit: „Natürliche Zeit versus grammatische Zeit“
(cf. H.G. Klein, 4ff.). Anhand von über die
romanischen Sprachen hinausgehenden vergleichenden Analysen, die auch v.a. das slawische Ternpus- und
Aspektsystem umfassen, konnte er die Diskrepanzen zwischen den Möglichkeiten
der natürlichen Zeiterfahrung, ihres entsprechenden
Ausdrucks und des restringierten Grammatikmodells
herausstellen, das, auf die antike Grammatik zurückgehend, nur Imperfekt,
Perfekt und Plusquamperfekt als Vergangenheitsgrade kennt. Der
gleichgebliebenen Nomenklatur entspricht heute jedoch ein anderer Inhalt. Zum
Tempus gesellen sich - entsprechend des Titels von Kleins Untersuchung - auch
Aspekt und Aktionsart hinzu.
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S. 19
|
Dem normativen Modell wird eine „linguistische Relativitätstheorie“
entgegengesetzt (a.aöO., 6ff.). Eine wichtige Ausgangsfeststellung bei Ducrot
ist zum Beispiel:
„Dans un grand nombre de cas, la
substitution à l'imparfait d'autres temps du passé ne change rien à la vérité
ou à la fausseté de la proposition (cf. L’année dernière il a plu / il
pleuvait souvent) et fait apparaître seulement une différence de point de vue,
de perspective, de centre d’intérêt.“ (Ducrot, 1).
Diese Feststellung ist von grundsätzlicher Bedeutung: zur
adäquaten Erfassung des Sprachgebrauchs bei der vorliegenden Thematik ist es
nötig, vom präskriptiven falsch/richtig-Schema
wegzukommen. Der von Ducrot angeführte Beispielsatz
macht deutlich, daß die Verwendung von Imp., bzw. P.c. nicht grammatikalisch
vorgeschrieben ist, sondern eine Intention des Sprechers ausdrückt, wobei
sich eben am Wahrheitsgehalt (der Denotation, bzw. dem lokutionären
Akt) dabei nichts ändert.
Die 1973 erschienene Nouvelle grammaire du français bei Larousse berücksichtigt einige der Relativierungen der
traditionellen Grammatik, die in Frankreich v.a.
unter dem Einfluß des Strukturalismus durchgesetzt
wurden. In der Konzeption der neuen Larousse-Grammatik
ist der Kontext wichtiger als das einzelne Element; die Sätze werden nicht
mehr als Verknüpfung von Wörtern verstanden, sondern es werden die „classes de mots“ als „parties du discours“ (Dubois/Lagane, chap.6), der „emploi
des modes et des temps“
als Struktur des „discours“ und des „récit“ analysiert (a.a.O.,
chap.47). In diesem Sinne wird die Funktion des Imp. fast ausschließlich dem
„style indirect libre“,
der „concordance des temps“
und den „valeurs stylistiques“
untergeordnet (cf. ebd.) - unter letzterem verbirgt
sich auch hier das Nicht-Klassifizierbare. Das Imp. wird als das literarische
„présent historique“ (a.a.O., 217) vorgestellt, es kann als „imparfait descriptif“ und als „imparfait narratif“ auftreten,
letzteres „peut exprimer soit
la duree, soit la répétition:
E: On se battait dans les faubourgs de la
ville.
II se rendait tous les jours à son bureau a
9 heures.“ (ebd.) .
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S. 20
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Die Terminologie deutet schon an, daß
sich die neue Larousse-Grammatik nicht total von
der alten absetzen will. Während die älteren Grammatiken mit vielen
Beispielen oft die Regel verdunkeln, ist die praktische Illustration in der Nouvelle grammaire
äußerst dürftig, die Funktionsbeschreibung des Imp. m.E.
trotz allem noch unzureichend und der zunächst weiterführende Ansatz, den
kontextuellen Bezug des Imp.gebrauchs
hervorzuheben, wird in einer neue objektivistische Ableitung des Imp.
geführt, da man - ganz im Sog des Strukturalismus – „discours“
und „récit“ nicht als flexible und relative, auf
die Intention des Sprechers antwortende, sondern als vom Sprecher unabhängige
Kategorien betrachtet, deren quasi „mathematischen“ Gesetzmäßigkeit sich
der Zeitengebrauch unterordnet. Die „valeurs stylistiques“ beschränken sich auf den Unterschied
zwischen „discours“ und „récit“.
Die linguistische Analyse (oder der Ansatz einer solchen) soll
hier nicht weiter ins Detail gehen, dieses Thema wird ausführlichst
in der Fachwissenschaft diskutiert. Es sollten vielmehr die Probleme deutlich
werden, die sich zwangsläufig in den deutschen Schulgrammatiken wiederfinden,
da sie dem französischen Vorbild mit entsprechender Zeitverzögerung folgen.
Prinzipiell kann man den traditionellen
Grammatiken zum Thema Imp. folgendes
vorwerfen:
1. Sie versuchen, den in der Sprachrealität dialektisch aus der
objektiven Situation und der subjektiven Intention des Sprechers
hervorgehenden Gebrauch des Imp. durch ein System objektiver Normen zu
definieren. Dabei wird nicht ausreichend zwischen „code
écrit“, „code parlé“, „style indirect libre“ und „discours indirect“ unterschieden.
2. Dies führt dazu, daß die
konnotativen Bedeutungen und die illokutiven Akte
der Sprache bzw. Kommunikation ausgeblendet werden, obwohl diese die
Sprachrealität bestimmen.
3. Die Bedeutung des Imp. wird zugunsten der (versuchten)
Erklärung seiner Stellung im Satz vernachlässigt. Dabei werden oft
semantische durch syntaktische Beziehungen ersetzt .
4. Diese „bewegen sich in mikrosyntaktischem Rahmen, an-
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S. 21
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geregt durch die weitverbreitete Beispielsatzeuphorie französischer
Lehrbücher (...), schon ein einziges Gegenbeispiel erschüttert die
Glaubwürdigkeit einer solchen Regelung.“ (H.G. Klein, 29).
5. Entgegen dem eigenen Anspruch können die traditionellen
Grammatiken mit der Auflistung von Beispielen meist noch kein adäquates
Regelsystem begründen, das in sich widerspruchsfrei und logisch fundiert
wäre.
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S. 22
G. Zimmermann, Grammatik im Fremdsprachenunterricht, 1977. / „Was ist eine
‚Didaktische Grammatik’?, in: Kleine, Perspektiven
des Fremdsprachenunterrichts, 1979.
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2. Zur Darstellung des Tempussystems in deutschen Lehrbüchern
Die Forderung nach einer der Sprachrealität adäquaten Behandlung
des Themas Imp.gebrauch kann, wie Günther Zimmermann
für den Grammatikunterricht allgemein betont, nicht danach trachten, die
Probleme der Linguistik in der Schule zu lösen.
„Der Objektbereich des Unterrichts (ist) nicht die
wissenschaftliche Beschreibung einer Sprache (...), die dann in
vereinfachter und lernpsychologisch-didaktisch transformierter Form im
Unterricht vermittelt würde, sondern (sind) die grammatischen Eigenschaften
der betreffenden Sprache selbst. (...) Der Fremdsprachenunterricht (lehrt)
nicht die Ergebnisse einer Wissenschaft, sondern die fremde Sprache, oder -
noch genauer - den kommunikativen Gebrauch der fremden Sprache. Somit kann
der Ausgangspunkt der Reflexion auch nicht ein Ergebnis der
Referenzwissenschaft Linguistik sein, sondern ein fachdidaktisch zu
explizierendes sprachkommunikatives Ziel. (...) Bei dieser Zielbestimmung
(sind) nicht die zu lernenden grammatischen Eigenschaften primärer
Entscheidungsgegenstand, sondern kommunikative Fähigkeiten hinsichtlich
bestimmter Verwendungssituationen, deren Elemente die zu lehrenden
grammatischen Eigenschaften determinieren.“ (Zimmermann 1977, 44f., cf. auch: Zimmermann 1979, 100).
Dies bedeutet freilich nicht, die Kritik sowohl der
traditionellen Grammatik, als auch der in den Anfängen steckengebliebenen
Versuche einer transformationellen Schulgrammatik der 70er Jahre zu vernachlässigen.
Vielmehr muß die Kritik didaktisch orientiert sein (ohne deswegen anti-wissenschaftlich
zu werden) und entsprechende Konsequenzen ziehen.
Zunächst sollen zwei repräsentative lehrwerkunabhängige
Schulgrammatiken (Klein/Strohmeyer, Französische Sprachlehre - verfaßt 1958 -, und Klein/Kleineidam, Grammatik des heutigen Französisch,
1983) und danach die Grammatischen Beihefte zu Etudes Françaises, Cours de base 2 und Grundkurs Salut unter
wissenschaftlich-linguistischen, anschließend unter didaktischen Gesichtspunkten
betrachtet werden.
|
S. 23
|
2.1.
Imparfait und Passé composé in
deutschen Schulgrammatiken aus linguistischer Sicht
Die Französische
Sprachlehre von Klein/Strohmeyer war
jahrzehntelang der „Klassiker“ deutscher Schulgrammatiken, der 1958 in der
Bearbeitung der älteren Grammatik Strohmeyers
wissenschaftlich ganz dem alten Ansatz auch französischer Grammatiken wie
dem Bon usage
gefolgt ist und fast nur den „code écrit“ behandelt (kritisch dazu: Hausmann, 168f.).
Ausgangspunkt bei Klein/Strohmeyer ist demnach die
literarische Ebene von „Imperfekt und Historischem Perfekt“. Allerdings wird
das subjektive Element im unterschiedlichen Gebrauch der beiden Formen
durchaus betont: Imp. und P.s. „bezeichnen (...)
keine verschiedenen Zeiten, sondern die Art und Weise, wie der Sprecher
die Handlung sieht, ob noch andauernd oder neu eintretend.“ (Klein/Strohmeyer, 50). Die Definition dieser Eigenschaften
als „verschiedene Handlungsarten (Aktionsarten)“ (ebd.) ist allerdings
linguistisch falsch, diese Begriffsungenauigkeit wurde später von H.W. Klein
korrigiert (siehe unten). Die Vermischung von Aktionsart und Aspekt war bei
den traditionellen Grammatikern weit verbreitet (cf.
u.a. H.G. Klein, 103ff.). Dies wird bei Klein/Strohmeyer besonders deutlich. Nach der generellen
Funktionsbeschreibung „nicht abgeschlossen“ / „abgeschlossen“ werden
folgende Schlußfolgerungen gezogen:
„Das passe simple bezeichnet also nur den Aspekt, den der
Sprechende von der Handlung hat (...). Da vor allem historische Ereignisse
abgeschlossene Handlungen sind, haben die deutschen Grammatiker dem passé
simple den Namen Historisches Perfekt gegeben. (...) Das passé simple
ist die Aktionsart der Erzählung, des Berichts.“
Zum Imp. wird gesagt:
„Verlaufen mehrere Handlungen gleichzeitig, so ist keine von
ihnen abgeschlossen, und das imparfait ist
die Aktionsart der Beschreibung.“ (ebd.).
Eine Aktionsart der Beschreibung, bzw. der Erzählung gibt
es jedoch nicht, hier handelt es sich um Aspekte, wie bei Klein/Strohmeyer
anfangs ja richtig festgestellt wurde. Bei den Kommunikationsformen
unterscheiden die alten französischen Grammatiken schon deutlicher zwischen
„discours
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S. 24
F.J. Hausmann, „Sprachwissenschaft und
Grundgrammatik“, in: Praxis des
neusprachlichen Unterrichts 2/81.
|
(oral)“ und „récit (littéraire)“. „Beschreibung“, „Erzählung“ und „Bericht“
sind bei Klein/Strohmeyer textimmanente Kategorien,
die zu Unklarheiten und Verwechslungen Anlaß geben.
Gemeint sind jeweilige Funktionen des Imp., bzw. P.s.: was Klein/Strohmeyer das Imp. der Beschreibung nennen, wird
in französischen Grammatiken meist als „imp. narratif ou pittoresque“
etc. bezeichnet.
Im weiteren geben Klein/Strohmeyer
Beispiele für das Inzidenzschema „laufende Handlung
- neu eintretende Handlung“ und Übersetzungsbeispiele, bei denen wirkliche
Aktionsarten auftreten:
E: J’avais peur; c’est pourquoi je n’osais
pas entrer. (= ich hatte Angst). Quand je le vis j’eus peur. (= ...bekam ich Angst).(cf.a.a.0., 53).
Unter dem Kapitel „Das Imperfekt der lebhaften Vorstellung“
werden die literarischen Sonderfälle vorgestellt und ähnlich wie in den oben
untersuchten französischen Grammatiken phänomenologisch erklärt.
In der neuen Grammatik von Klein/Kleineidam findet sich ein ganz
anderer Ansatz, der den Entwicklungen in Linguistik und Didaktik (-
die sonst oft gegeneinanderstehen!) Rechnung zu tragen versucht. Es wäre
freilich falsch, im Nachhinein Klein/Strohmeyer
für die Unzulänglichkeiten ihrer Grammatik Vorwürfe machen zu wollen - sie
lagen im Trend der damaligen Zeit. Bedenklich ist nur, daß
vom Klett-Verlag über 20 Jahre keine Überarbeitung zugelassen wurde (cf. Hausmann, 169).
Nachdem Klein/Kleineidam mit der Französischen Grundgrammatik für Schule und Weiterbildung 1979
eine knapp gefaßte und v.a.
didaktische orientierte Grammatik für Schüler herausgebracht haben, liegt
seit kurzer Zeit eine umfassende Grammatik
des heutigen Französisch für Lehrer, bzw. für die Sekundarstufe II vor.
Obwohl auch die „Grundgrammatik“ ein „Beispiel für die fruchtbare
Zusammenarbeit von Linguistik und Didaktik ist“ (Hausmann, 168), ist sie doch
durch ihre didaktische Reduktion nicht als vollständige
|
S. 25
|
Grammatik des Französischen zu betrachten (daher auch ihr Titel
„Grundgrammatik") und nimmt eher eine Mittelstellung zwischen einer
solchen und einem lehrwerkabhängigen Grammatischen Beiheft ein. Deswegen
soll zunächst die umfassende Grammatik von Klein/Kleineidam im Vordergrund
stehen.
Entsprechend der Saussureschen
Definition von Sprache als System und der Entwicklung der modernen Linguistik
versuchen Klein/Kleineidam unter Berücksichtigung didaktischer Zielsetzungen
eine „Satzgrammatik“ zu konzipieren: „sie macht den Satz als größte
unabhängige Einheit des Textes zum zentralen Bezugspunkt der Beschreibung.
Die Wahl der Satzebene als Ausgangspunkt ermöglicht es, sowohl die
Beschreibungen der traditionellen Wortartengrammatik zu integrieren, als auch
in einem für eine Fremdsprachengrammatik hinreichenden Maße den Blick für
satzübergreifende Erscheinungen des Textes zu offnen.“ (Klein/Kleineidam,
3). In diesen „satzübergreifenden Erscheinungen“ werden die Tempora (v.a. die der Vergangenheit) unter den Gesichtspunkten
„Tempus und Zeitbezug", „Tempus und Aspekt“ und „Tempus und
Kommunikationsform: Discours und Récit“ kontextuell analysiert. Die Grammatik des heutigen Französisch folgt damit den Forderungen
Kleineidams (1980, 100) nach einer „Gesamtkonzeption der Schulgrammatik als
einer zum Text hin geöffneten Grammatik“. Die Einleitungen zu den Abschnitten
„Tempus und Zeitbezug“ und „Tempus und Aspekt“ präsentieren die aus der
Kritik der traditionellen Grammatik hervorgegangenen Erkenntnisse lerneradäquat:
„Die Tempora der Werben entsprechen
nicht unmittelbar der objektiv meßbaren Zeit. Sie
informieren nicht über den absoluten Zeitpunkt und die Dauer des durch das
Verb bezeichneten Geschehens. Die grammatischen Tempora setzen das Geschehen
vielmehr in eine Beziehung zu dem Hier und Jetzt des Sprechers: dem
Sprechzeitpunkt.(...)
Die Tempora geben nicht nur Informationen über die Situierung
des Geschehens in bezug auf den Sprechzeitpunkt
oder einen anderen in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegenden
sekundären Bezugspunkt. Bestimmte Verbformen
drücken auch die Art und Weise aus, in der der Ablauf des Geschehens
in der Zeit gesehen wird. Diese Information heißt Aspekt.“
(Klein/Kleineidam, 260f.).
|
S. 26
|
Der grundlegende Unterschied zwischen Imp. und P.c./ P.s. wird durch das klassische Inzidenzschema erläutert und durch die ebenso
grundlegende Aspektdifferenz ergänzt:
„Das Imparfait stellt ein
Geschehen als in einer Phase seines Verlaufs befindlich, sozusagen von innen
heraus gesehen dar. Anfang und Ende des Geschehens sind bei dieser Sichtueise ausgeblendet. Plan bezeichnet diesen Aspekt
als unvollendet oder imperfektiv.
Das Passé composé und das Passé
simple stellen ein Geschehen in seiner unteilbaren Ganzheit, sozusagen
von außen gesehen dar. Anfang und Ende des Geschehens bzw. beide sind bei
dieser Sichtweise markiert. Man bezeichnet diesen Aspekt als vollendet oder
perfektiv.“ (a.a.O. , 262).
Wichtig erscheint mir an diesem Ansatz, daß
die Objektivität des Erzählten mit der Subjektivität der Sichtweise durch
den Erzähler dialektisch verbunden
wird. Daraus folgt konsequent:
„Der imperfektive Aspekt ist nicht
mit der Dauer eines Geschehens gleichzusetzen, er kann durchaus - wie
der perfektive Aspekt - ein punktuelles Geschehen bezeichnen:
E: Une heure sonnait quand il entra.
(Das Geschehen dauert länger als das Schlägen der Stunde)“.
(ebd.) .
An diese grundlegende Kategorie zum Verständnis des
französischen Tempussystems schließt sich die richtige Unterscheidung
zwischen Aspekt und Aktionsart an:
„Der Aspekt ist von den sogenannten Aktionsarten (les modes d’action) zu
unterscheiden. Der Aspekt ist eine grammatische Kategorie,
die im Französischen durch die Tempuspaare Imparfait
- Passé simple bzw. Imparfait - Passé composé innerhalb des Inzidenzschemas
realisiert wird. Die Aktionsarten sind eine lexikalische
Kategorie, die durch die Bedeutung des Verbs ausgedrückt wird.“ (ebd .) .
In der Analyse der Kommunikationssituationen werden „Discours“ und „Récit“ prägnant
als zwei verschiedene Tempussysteme unterschieden. P.c.
und Imp. im „Discours“ werden folgende
Eigenschaften, bzw. Funktionen zugeordnet:
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S. 27
|
Passé composé
|
perfektiver
Aspekt
Handlungskette
Verknüpfung in zeitlicher
Abfolge
Vordergrund der Erzählung
|
|
Imparfait
|
Begleit-
umstände
|
Schilderung von
Gewohnheiten
und Verhaltensweisen
Beschreibung von Gegebenheiten und
Zuständen
Kommentare,
Erklärungen,
Hintergrundinformationen
(aus der Sicht des
Erzählers)
|
Hintergrund der
Erzählung
|
|
(Cf. a.a.O., 266.)
|
|
Davon werden Imp. und P.s. im „Récit“ abgesetzt; als zusätzliche Eigenschaften des Imp.
ergeben sich v.a. im literarischen Bereich:
- das „Imparfait
prospectif“:
E: „M. Marcol
acheta une grosse valise pour Gérard qui partait (= devait partir) le
surlendemain pour le collège.“ (a.a.O. , 268).
- das „Imparfait narratif“
als Stilmittel; seine Exklusivität im literarischen Bereich wird der des P.s. gleichgestellt. Als Stilmittel macht es bestimmte
Handlungen gegenwärtig, indem es deren objektiv perfektiven Charakter
entwertet (cf.a.a.O., 272).
Obwohl die Erklärung des letztgenannten Phänomens m.E. noch unzureichend bleibt, hat die Vorgehensweise von
Klein/Kleineidam den Vorteil, diese „Sonderfälle“ literarischen Stilmittels
klar vom „Alltagsgebrauch“ des Imp. abzugrenzen und nicht wie früher üblich
alle Phänomene unter einer Überschrift im Sinne von „Was das Imparfait alles ausdrücken kann...“ in einem
wissenschaftlich und didaktisch undifferenzierten Sammelsurium zu vermengen.
An diese noch weitgehend mikrosyntaktische Analyse schließt sich
bei Klein/Kleineidam dann die „Zeitenfolge in indirekter Rede (La concordance des temps)“ und
„Die erlebte Rede (Le style indirect libre)“ an, ein Kapitel, das bei Klein/Strohmeyer
vollkommen gefehlt hat. Auf der anderen Seite läßt
die ausgedehnte kontextuelle und semantische Betrachtung bei Klein/Kleineidam
manches an Präzision vermissen, auf das die klassische Grammatik Wert ge-
|
S.
28
H. Link, Rezeptionsforschung,
1976.
|
legt hat (siehe unten). Mit der Definition, daß
bei der Transposition in die Vergangenheit im
abhängigen que-Satz Präsenz zu Imp. wird,
formulieren Klein/Kleineidam eine wünschenswerte Eindeutigkeit über das Imp.
im „discours indirect“,
auch wenn eine Erklärung dafür fehlt. Unklarheit entsteht allerdings wieder
in der (fehlenden) Abgrenzung zum „style indirect libre“, wenn es heißt: „Tempus und Modus sind die
gleichen wie im entsprechenden que-Satz der
indirekten Rede.“ (a.a.O., 279). Das ausgewählte
Beispielmaterial bestätigt selbstverständlich diese These, die in ihrem
Anspruch auf universelle Gültigkeit jedoch nicht haltbar ist. Der implizite
Autor oder Erzähler des „style indirect libre“ („implizit“ im Sinne der Rezeptionsästhetik, cf. Link, 25ff.) kann nicht mit dem distanzierten Autor
des „discours indirect“
gleichgestellt werden, da die Vordergrundhandlung beim letzteren (il a dit / demandé etc.) im
literarischen „style indirect libre“
fehlt; folglich gibt es dort auch keine direkte Parallele zum que-satz, Vorder- und Hintergrundhandlung definieren
sich weitgehend in der Perspektive des impliziten Autors, bzw. Lesers, und sind
Kategorien des Erzählten, während im „discours indirect“ eine Trennung der Ebenen der Erzähler vorliegt
(ein textinterner: „Jean a dit...“ etc., und ein
textexterner, der darüber erzählt). Dieses zweifellos sehr komplexe Thema
kann hier selbstverständlich nicht weiter ausgeführt werden, ich möchte mit
dem Hinweis darauf lediglich begründen, daß das
Aspektschema des „style indirect libre“ nicht mit dem des „discours
indirect“ identifiziert werden darf.
Trotz dieses Problems kann man jedoch feststellen, daß die „Grammatik des heutigen Französisch“ einen dem
aktuellen Stand der linguistischen Diskussion weitgehend angemessenen
Zugang zum Gebrauch von Imp. und P.c. bietet.
Bis dieser Stand der lehrwerkunabhängigen Grammatik von
Klein/Kleineidam in die Lehrwerke und ihre Grammatischen Begleithefte selbst
eingeht, dürften naturgemäß noch Jahre vergehen, besonders weil zur
linguistischen noch verstärkt die didaktische Problematik hinzutritt. Im
Unterricht der Sekundarstufe I ist man auf lange Sicht noch auf die zur Zeit existierenden Lehrmaterialien angewiesen.
Diese Lücke könnte die „Grundgrammatik“ von Klein/
|
S.
29
|
Kleineidam schließen. In knapperer Form folgt sie auch dem
Ansatz der späteren großen Grammatik, ist aber noch weiter in Sprache und Anschaulichkeit
didaktisiert. Leider heißt didaktische Reduktion des Stoffes aber auch hier, daß die quantitative Kürzung auf Kosten der Qualität
geht. Der kontextuelle Bezug des Zeitengebrauchs (cf.
Klein/ Kleineidam 1979, 91ff.) ist stark zurückgenommen worden zugunsten der
alten Konzeption der Ableitung des Zeitengebrauchs von der als objektiv
dargestellten Situation. Das subjektive Element der Bewertung durch den
Erzähler/Sprecher, das in der großen Grammatik z.B. durch einen einfachen Vergleich
veranschaulicht wird -
E: Pierre sortait quand Michel est
arrivé/arriva. Michel arrivait quand Pierre est sorti/sortit. (Klein/Kleineidam 1983, 261)
- diese aspektorientierte Erklärung fehlt weitgehend in der
Grundgrammatik. Positiv gegenüber alten Schulgrammatiken und dem
Grammatischen Beiheft des Cours de base ist jedoch die präzise und übersichtliche
Darstellung der „concordance des temps“ im „discours indirect“ (cf. Klein/Kleineidam
1979, 112).
Im Grammatischen Beiheft
des Cours de base 2,
herausgegeben von Rita Erdle-Hähner u.a., werden zum vorliegenden Problem folgende
Definitionen aufgestellt:
„Vorgänge, die in der Vergangenheit wiederholt und regelmäßig
stattfanden, stehen im imparfait.
Vorgänge, die sich nur einmal, zu einem bestimmten Zeitpunkt ereignet haben,
stehen im passé compose.“ (Erdle-Hähner,
Grammatisches Beiheft, 46). Diese
im ersten Anlauf zur Erarbeitung des Zeitengebrauchs gegebene Definition ist
nicht nur zu allgemein - dies wäre didaktisch zu rechtfertigen -, sie ist
auch unkorrekt: auch das P.c. kann wiederholte Handlungen
(auch „regelmäßige“) erzählen, sofern sie abgeschlossen sind. Dieser Umstand
kommt irteressanterweise bei der sonst so
kritisierbaren Grammatik von Klein/Strohmeyer deutlicher
zum Ausdruck als bei Klein/Kleineidam (cf. Klein/Strohmeyer, 51). Die Kennzeichnung „regelmäßig“ bei
Erdle-
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S.
30
|
Hähner ist zur
Charakterisierung der Unabgeschlossenheit zu unpräzis; gemeint ist der
gewohnheitsmäßige Charakter der Handlung.
Gravierender ist allerdings folgendes Problem: die Definition
der grammatischen Formen Imp. und P.c. durch ihre
Unterscheidung zwischen „Handlungsablauf: Was geschah an diesem Tag?“ und: „Begleitumstände:
Warum? Was war früher?“ (Gramm. Beiheft, 49, Hervorheb,
von mir, W.G.). Dies kann zur falschen Schlußfolgerung
führen, das Imp. würde regelmäßig eine kausale Verknüpfung oder eine Anteriorität ausdrücken (wäre also Konkurrenz zum Plusqueparfait). Dabei handelt es sich allenfalls um einen
Aspekt des Imp. und bestimmt nicht um einen zentralen, und selbst dieser kann
eigentlich nicht als „Anteriorität“ bezeichnet
werden, da der anhaltende Zustand oder Begleitumstand nicht nur vor
der neu einsetzenden Handlung bestand, sondern auch meistens diese
überdauert. Wir haben dieses Problem bereits verschiedentlich weiter oben
angetroffen. Das im Grammatischen Beiheft
des Cours de base 2 in
Abwandlung des Themas von L.15 gewählte Beispiel ist in der Tat ein
verstecktes Plusqueparfait :
„E: Un jour, M. Montfort s'est
promené avec ses neveux.
II voulait leur offrir une glace.
II sont arrivés au nouveau pont. M.
Montfort s’est arrêté pour le regarder.
II ne connaissait pas encore ce
pont-là.
Quand il était jeune, il y avait là
un pont de fer à trois grands arcs.
Maurice: On a construit ce pont en
1966.
Le vieux pont etait
trop etroit. (...)“ (a.a.O. , 49).
An der markierten Stelle tritt ein Zeitbruch ein, wo die
Vorvergangenheit beginnt. Die Substituierung des Plusqueparfait
steht im Zusammenhang mit dem präsenzbezogenen Aspekt des P.c.
in diesem Zusammenhang. Beispiele wie dieses sind ausgesprochen irreführend
und können das Inzidenzschema als grundlegende
Kategorie des Gebrauchs von Imp. und P.c. nicht
adäquat erklären.
Linguistisch präziser ist das dem Cours de base um einige Jahre
vorausgegangene Grammatische Beiheft zum Grund-
|
S.
31
Nach oben zum
Seitenanfang
|
kurs Salut. Mit dem Inzidenzschema verweisen Barrera-Vidal
und Franke deutlicher auf die Sichtweisen der Handlungen und stellen Imp. und
P.c. präziser und ausführlicher in Bezug zueinander
vor. Sehr gut und ganz dem Aspektschema folgend erklären sie unter anderem:
„Es
ist (...) zu beachten, daß ein und derselbe Vorgang
(...) je nach Zusammenhang, d.h. je nach seinem Verhältnis zu den anderen
Vorgängen einerseits ausgedehnt, im Verlauf begriffen, linear,
andererseits begrenzt, abgeschlossen, punktuell erscheinen kann. Die richtige
Form findet man nur, wnn man die verschiedenen
Vorgänge in ihrem Verhältnis zueinander sieht.“ Barrera-Vidal/Franke,
47).
Das
Problem der wiederholten Handlungen wird hier richtig gelöst, indem es unter
dem Aspekt der (Un-)Abgeschlossenheit betrachtet wird (c.f.
a.a.O., 49). Zusammenfassend gibt man folgende
Funktionsbeschreibung der beiden Formen:
„Das
Verb steht also
- im
imparfait, wenn es Vorgänge und Situationen
bezeichnet, die im Verhältnis zu anderen Vorgängen
-
nach Anfangend Ende) hin unbegrenzt sind, bzw.
-
sich bereits im Verlauf befinden, wenn andere Vorgänge einsetzen oder
-
wenn die Vorgänge nebeneinander verlaufen, sich zu einer
Situationsbeschreibung ergänzen.
- im
passé composé, wenn es Handlungen und
Ereignisse bezeichnet, die im Verhältnis zu anderen Vorgängen
-
nach Anfang und Ende hin begrenzt sind, bzw.
- neu
einsetzen oder
-
wenn die Vorgänge nacheinander eintreten und sich gegenseitig begrenzen.“ (a.a.O., 49) .
Sehr
elegant haben Barrera-Vidal/Franke das Problem des
literarischen Imp. „gelöst", indem sie dazu erklären:
„Man
wird bei der Lektüre französischer Texte immer wieder Beispiele finden, die
mit den oben angeführten Regeln nicht im Einklang stehen. Diese Fälle gehen oft
auf die stilistische Absicht des Autors zurück, durch Abweichung vom üblichen
Sprachgebrauch eine besondere Wirkung erzielen zu wollen. (...)
Dieses
‚imparfait pittoresque’
sollte man als Nichtfranzose vermeiden.“ (a.a.0., 50).
|
S. 32
R. Hildebrandt, „Etudes
Françaises – Cours de base. Zur Konzeption der ‘Grammatischen Beihefte’“,
in : Der fremdsprachliche
Unterricht 54/1980.
H.-D. Loebner, „Zur
Effektivität des neusprachlichen Grammatikunterrichts“, in: Der fremdsprachliche Unterricht 30/Februar
1974.
J. Bender, Zum gegenwärtigen
Stand der Diskussion um Sprachwissenschaft und Sprachunterricht,
1979.
Zimmermann, Grammatik im
Fremdsprachenunterricht, 1977.
|
2.2.
Didaktische
Überlegungen zum Thema
Die
Mängel im Grammatischen Beiheft des Cours de base 2 finden teilweise ihre Erklärung darin, daß das Lehrwerk „zunächst ohne grammatische Beihefte
konzipiert war“, da es „das erste Unterrichtswerk“ war, „das die Prinzipien
einer kombinierten audio-lingualen und audio-visuellen Methode auf die
Vermittlung des Französischen anwendete.“l
(Hildebrandt, 144). Die aus Amerika übernommene audio-linguale Methode
vereinigte sich in Deutschland zu einer „unheiligen Allianz“ (Loebner, 52) mit der „direkten Methode“ unter dem
Zeichen einer neuen engagierten, um nicht zu sagen „militanten“
Einsprachigkeit, die kognitivierenden
Grammatikunterricht im alten Stil für überflüssig und sogar schädlich für den
Gesamtlernprozeß hält. „Die Internalisierung der
grammatischen Regeln soll sich überwiegend durch Analogiebildung (pattern drill nach vorgegeben Modellen) vollziehen. Sie
wird für effektiver gehalten als ein Lernen durch Analyse und Einsicht.“
(Zimmermann 1977,12; cf. auch: Bender, 27ff.).
Grundlagen dieses Konzepts sind die These, daß sich
die Fremdsprache analog zur Muttersprache lernen lasse, und die auf
Bloomfield und Skinner zurückgehende Betrachtung
der „Sprache (als) ein nicht-mentaler mechanischer Vorgang, der sich in
Stimulus-Response-Bezügen vollzieht. Damit Sprachfertigkeit erworben werden
kann, muß ein Konditionierungsprozeß
stattfinden, in dessen Verlauf Responses unmittelbar bekräftigt werden. Damit
war die theoretische Basis für Lehrverfahren gegeben, in deren Verlauf
Aneignung der Grammatik einer Zweitsprache durch beständiges ‚Einschleifen’
im Wege der Konditionierung ermöglicht werden sollte. Pattern drills und mimicry-memorization-Übungen
sind die praktische Anwendung der behavioristischen Prinzipien einer
allmählichen Hinformung zu dem gewünschten sprachlichen Endverhalten.“
(Zimmermann 1977, 16).
Die
Kritik der Vertreter der direkten oder audio-visuellen Methode am
traditionellen Grammatikunterricht ist zweifellos berechtigt und wird
allgemein anerkannt. „Bei der neuen auf kommunikative Fertigkeiten
ausgerichteten Zielsetzung des FU geht es nicht mehr um Regelwissen, sondern
um auto-
|
S.
33
Kleineidam, „Zur Situation der Schulgrammatik“, in: Der fremdsprachliche Unterricht 54/Mai
1980.
R. Hildebrandt, „Etudes
Françaises – Cours de base…. “, s.o.
|
matische Regelbeherrschung und -anwendung im
kommunikativen Kontext. Die Verfahren, die hierzu befähigen, sich weniger ein
expliziter Grammatikunterricht im Sinne einer Vermittlung metasprachlicher
Regeln als vielmehr solche sprachlichen Übungsformen, die geeignet sind,
adäquate sprachliche Verhaltensmuster für konkrete Kommunikationssituationen
herauszubilden und zu festigen.“ (Kleineidam 1980, 98). Der Lösungsweg, den
die audio-linguale Methode aber vorschlägt, ist größtenteils auf Ablehnung
oder zumindest starke Kritik gestoßen,- die Einwände gegen die
Ausschließlichkeit der Einsprachigkeit und das Ausblenden des kognitivierenden Grammatikunterrichts sind zahlreich.
Genannt seien im vorliegenden Zusammenhang die Arbeiten von Zimmermann,
Kleineidam, Loebner, Göller
und im allgemeineren Rahmen vor allem die Position
Butzkamms zur „Aufgeklärten Einsprachigkeit“.
Entscheidend ist wohl, daß der Versuch, den
Grammatikunterricht überflüssig zu machen, in der Praxis gescheitert
ist. Die Feststellung Hildebrandts, der die Konzeption des Cours de base
zunächst verteidigt, spricht für sich: „Es überrascht also, daß schon bald nach dem Erscheinen der Schülerbücher
(des Cours de base)
viele Stimmen laut wurden, die nach zusätzlichen grammatischen Beiheften
mit deutschem Regelwortlaut verlangten.“ (Hildebrandt, 145). Der
wesentlichste Einwand nach Hildebrandt war, daß der
Cours de base
(Schülerbuch) nicht systematisch genug sei. Hildebrandt gibt jedoch der
Tatsache schuld, daß das Lehrerbuch „erst lange
nach dem Schülerbuch erscheinen konnte“, so „wurde den Lehrern nicht klar, daß ‚Cours de base’ eine im Grunde sehr systematische grammatische Position
verfolgt.“ (a.a.O., 146). Dieses Argument scheint
mir jedoch eher gegen die „Systematik“ zu sprechen als gegen die Lehrer, denn
welchen Wert hat eine Systematik, wenn sie dem Pädagogen nicht aus sich
selbst heraus ersichtlich ist, sondern erst durch zusätzliche
„Gebrauchsanweisungen“? Der verspätet erschienene Lehrerband trägt daher der
vorgebrachten Kritik bereits Rechnung und entdogmatisiert
die Rigorosität der Einsprachigkeit bei der Erläuterung der
methodisch-didaktischen Prinzipien:
"Das
Situationsprinzip, demzufolge in allen Texten und Übungen die
fremdsprachlichen Äußerungen nur in situativer
|
S.
34
Rolinger/Wüst, Etudes françaises – Cours de base 2, Elemente zur
Unterrichtsplanung, 1977.
F. Leisinger, Elemente des
neuspachlichen Unterrichts, 1966.
W. Arnold, Fachdidaktik
Französisch, 1973.
|
Einbettung
dargeboten werden, wird ergänzt von einem undogmatischen Prinzip der
einsprachigen Unterrichtsführung, das einerseits so häufig wie möglich
echte fremdsprachliche Kommunikationssituationen im Klassenzimmer schafft,
andererseits bei Verständnisschwierigkeiten der Schüler den Rückgriff auf
die Muttersprache gestattet.“ (Rolinger/Wüst, 5).
Einem
weiteren Argument gegen den beiheftlosen Cours de base schließt sich Hildebrandt an:
„Die (...) beschriebene konzeptionelle Ausgangsposition überließ die induktive
Regelableitung allein dem Unterrichtsgespräch. Das gleiche galt für das ‚In-Worte-Fassen’ der Regel. Dies konnte zu Nachteilen für
die lernpsychologische Situation des Schülers führen.“ (Hildebrandt, ebd.).
Im weiteren listet er Argumente dafür auf, daß die Schüler eine lehrwerkbegleitende
Nachschlagegrammatik brauchen. Er gibt zu: „Die ‚Grammatischen Beihefte’
füllen die Lücke aus, die eine zu direkte Methode hinterlassen hat.“ (a.a.O., 148). Es geht dabei im Wesentlichen um die
Vermeidung von fehlerverursachenden Interferenzen
durch Vergleiche mit der deutschen und englischen Sprache - doch das ist
genau der Sinn kognitivierenden
Grammatikunterrichts. Im Prinzip hat schon Leisinger 1966 darauf hingewiesen,
daß das Üben der Strukturen in der Fremdsprache
erfolgen solle, doch „wo es um ein Denken über die Sprache geht, wird man
meist auf die Muttersprache zurückgreifen. Dasselbe gilt für den Vergleich
mit muttersprachlichen Strukturen. Sobald sich die
Einsicht in die Abstraktion der Regel verwandelt, ist diese in der
Muttersprache am sichersten verankert.“ (Leisinger , 260). Gerade das Problem
Imp./P.c. als eines der schwierigsten in der
französischen Sprache kann nach Arnold nur durch eine
„funktional-leistungsbezogene Betrachtungsweise“ (Arnold, 92ff.) erarbeitet
werden, die metasprachlich nach den Funktionen von Imp. und P.c. fragt, mithin in der Muttersprache erfolgen muß... (- was den Erkenntnisprozeß
angeht), nach Arnold jedoch weitgehend induktiv erfolgen könne (cf. a.a.O., 94) - zu diesem
Punkt später mehr.
Die
„Lücke“ der „zu direkten Methode“, von der Hildebrandt bei der Begründung
der Grammatischen Beihefte spricht, betrifft den Bereich grammatischer
Strukturen des Französi-
|
S.
35
J. Bender, Zum gegenwärtigen
Stand der Diskussion um Sprachwissenschaft und Sprachunterricht,
1979.
Zimmermann, Grammatik im
Fremdsprachenunterricht, 1977.
|
schen, die sich fundamental von der Muttersprache -
hier vom Deutschen - unterscheiden. Ein pattern
drill, der den Gebrauch von Imp. und P.c.
„einschleifen“ könnte, ist mir nicht vorstellbar - es gibt ihn auch nicht. Anwendungsbeispiele der Transformationsgrammatik im pattern drill des fremdsprachlichen Unterrichts bleiben
regelmäßig auf vergleichsweise „einfachen“ grammatischen Strukturen stehen (cf. u.a. die Übersicht bei
Bender, 49ff.), die größtenteils in das 1., allenfalls zum 2. Lernjahr
gehören. Es wird suggeriert, was bei einfachen Strukturen greife, ginge auch
für schwierigere. Das pattern-drill-Prinzip, das
bei einfachen syntaktischen und morphologischen Strukturen durchaus
erfolgreich ist, muß jedoch dann versagen, wenn das
grammatische Problem in satzübergreifenden und semantischen Bezügen steht.
Zimmermanns Kritik am Universalitätsanspruch der audio-lingualen Methode ist
hier unmittelbar auf die TG übertragbar:
„Unter
dem Einfluß des Strukturalismus, der an
semantischen Problemen wenig interessiert ist, schenkte die audio-linguale
Methode unter Rekurs auf den defizitären Begriff des pattern
semantischen Aspekten des Grammatiklernens (also z.B. den Tempora) wenig
Beachtung. Semantische Probleme gehören aber zu den schwierigsten Bereichen
des Grammatiklernens, und sie werden im Unterricht nicht allein in
Konditionierungsprozessen (z.B. in pattern drills), sondern über kognitivierende
Verfahren (Regeln) gelehrt und gelernt.“ (Zimmermann 1977, 24).
Das
Verhältnis von Linguistik und Fremdsprachenunterricht, von Fachwissenschaft
und Fachdidaktik ist ausgesprochen komplex. Die Geschichte der
Auseinandersetzung zwischen Forschung und Schule hat u.a.
Jutta Bender in ihrem Buch Zum
gegenwärtigen Stand der Diskussion um Sprachwissenschaft und
Sprachunterricht dargestellt. Charakteristisch für diese Beziehung ist, daß stets eine Einflußnahme von
der Linguistik auf den Unterricht, von der Theorie auf die Praxis ausgegangen
ist, aber nie umgekehrt, so daß zeitweise die
Schule zum Experimentierfeld der Forschung degradiert zu werden drohte -
Experimentierfeld muß der Sprachenunterricht
zwangsläufig sein, er sollte es aber nicht ausschließlich sein. Eine
kritische Beeinflussung der Linguistik
|
S.
36
H. Kleinieidam, „Referenzgrammatik
für Fremdsprachenlerner?“, in: Bausch, Beiträge
zur Didaktischen Grammatik, 1979.
Zimmermann, Grammatik im Fremdsprachenunterricht,
1977. Ders., „Was ist eine ‚Didaktische
Grammatik’?“, in: Kleine, Perspektiven
des Fremdsprachenunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland, 1979.
|
durch
die Didaktik hat es bislang nicht gegeben - jedenfalls nicht in relevantem
Ausmaß -, und dementsprechend ist „eine Sprachtheorie, die speziell auf den
Fremdsprachenerwerb anzuwenden wäre, (...) bislang noch nicht konzipiert
worden.“ (Bender, 113). Dennoch ist das Primat der Linguistik über den
Unterricht dauerhaft infragegestellt worden: „Die in der Phase der
enthusiastischen Rezeption der Transformationsgrammatik durch die
Fremdsprachendidaktik aufgestellte These, nach der die beste linguistische
Theorie auch die beste Theorie für den Unterricht sei, kennzeichnet eine
heute im allgemeinen überholte Position“, stellte Kleineidam vor ein paar
Jahren fest (Kleineidam 1979, 194). Es ist die Aufgabe der
Fremdsprachenlehrer, die wissenschaftliche Grammatik auf ihre didaktische
Qualität hin zu prüfen. Dabei sind linguistische und didaktische Kriterien
keineswegs strikt voneinander getrennt, wie ich gerade bei der Analyse der
Grammatiken zu Beginn der vorliegenden Arbeit deutlich zu machen versucht
habe.
Eine
Überprüfung einerseits der Deskription der grammatischen Strukturen einer Sprache
und andererseits der daraus abgeleiteten Regeln auf Adäquatheit der Funktionsanalyse,
innere Stimmigkeit, Klarheit in der beschreibenden Darstellung und
Anwendbarkeit für die Sprachproduktion ist immer zugleich linguistisch und
didaktisch. Seit der 2. Hälfte der 70er Jahre ist aus der Schule heraus
verstärkt die Forderung nach einer „didaktischen Grammatik“ lautgeworden - unzweifelhafte Reaktion auf die
Bevormundung durch die Linguistik. Unter anderem hat der schon mehrfach erwähnte
Günther Zimmermann mit Forderungen und Vorschlägen dazu in die Diskussion
eingegriffen (cf. Zimmermann 1977 und 1979).
Ausgangspunkt für ihn wie für andere war, das Lernziel „kommunikative
Kompetenz“ im Fremdsprachenunterricht konsequent auf den Grammatikunterricht
zu übertragen. „Der Begriff der kommunikativen Kompetenz entwickelte sich im Anschluß an und in der Auseinandersetzung mit Chomskys
sprachlichem Kompetenzbegriff.“ (Zimmermann 1977, 50). Damit wurde ein
zentrales Argument, das die moderne Linguistik gegen den klassischen
Grammatik- und den Fremdsprachenunterricht im allgemeinen
vorgebracht hatte, gegen bestimmte Auswüchse der modernen Linguistik selbst
ins Feld geführt. Unter dem Begriff „Didaktische Grammatik“ treffen sich ver-
|
S.
37
A. Göller, „Lernpsychologie und
kognitive Grammatikarbeit im Französischunterricht“, in: Praxis des neusprachlichen Unterrichts 4/82.
|
schiedene Ansätze, die sematischen
Bezüge des Sprachsystems gegenüber der Morphosyntax, aber auch gegenüber dem
Strukturbegriff der TG mehr in den Vordergrund zu stellen. Die Stichworte
lauten u.a. „Referenzgrammatik“ (Kleineidam 1979)
und „Signalgrammatik“ (Zimmermann 1977, 123ff. und 1979). Zimmermanns Ansatz
der Signalgrammatik knüpft inhaltlich an dem an, was u.a.
Sauvageot am Beispiel des Imp. in der französischen
Umgangssprache festgestellt hat, daß nämlich die
semantische Bedeutung des Verbs im Imp. oft durch periphrastische Ergänzungen
wie „en train de“ verstärkt und erläutert wird. Auch
Ducrot arbeitet in dieser Richtung, wenn er
versucht nachzuweisen, daß das Aspektsystem, das in
der Vergangenheitsstufe morphosyntaktisch durch Imp./P.c.
markiert ist, auch in anderen Zeitstufen, namentlich im Präsenz, existiert,
dort allerdings semantisch durch lexikalische Ergänzungen verdeutlicht wird.
Der Satz „Pierre boit“ z.B. enthält ohne
kontextuellen Bezug beide Bedeutungen, die in der Vergangenheit in „il a bu“ und „il buvait“ aufgespalten werden. Unter diesem Gesichtspunkt ließen
sich „Signalhilfen“ der alten Grammatik mit einer neuen didaktischen
Zielsetzung kombinieren. Man könnte schon seit langem existierende
signalgrammatische Systeme (oder Ansätze davon) wie beim Subjonctif
-
il faut que ——> Subj.
bien que
——> Subj.
- auf
weitere Bereiche (hier auf den Imp.gebrauch)
ausweiten. Darauf zielt auch Göllers Vorschlag ab (cf. Göller, 404ff.). Es geht
darum, daß nicht nur sprachliche (z.B. il faut que), sondern auch situative
(oder gedankliche) Stimuli in den kognitiven Lernvorgang einzubeziehen seien.
Zimmermann schließt hier an Überlegungen von Mindt
und Untersuchungen David Crystals an, wo „dieser die Zusammenhänge zwischen
Tempus und Kontexsignalen untersucht und
nachgewiesen hat, daß in 70% der Fälle, in denen
eine Tempusdifferenzierung vorliegt, ein Zeitadverbial im weitesten Sinne
nicht nur anwesend sondern obligatorisch ist.“ (Zimmermann 1977, 125).
|
S.
38
H. Christ, „Didaktische und linguistische Probleme einer
Mindestgrammatik“, in: Bausch, Beiträge
zur Didaktischen Grammatik, 1979.
|
Welche
„Signalhilfen“ werden in den vorliegenden Lehrbüchern gegeben? Als
beispielunabhängiges Signalwort geben Klein/Strohmeyer
(op.cit.,
51) „pendant que—>Imp.“
an. „Toujours", „jamais“
u.a. sind beispielbezogen. „Pendant que“ wird ebenfalls bei Klein/Kleineidam (op.cit., 267) beispielunabhängig erwähnt;
beispielbezogen, aber nicht mit generalisierendem Anspruch werden ferner „chaque fois—> Imp.“ und
„au moment ou—>P.c.“ als Ersatzmöglichkeiten für das doppeldeutige „quand“ eingeführt (ebd.).
Das
Grammatische Beiheft des Cours de base 2 gibt Fragehilfen, die allerdings in der oben
bereits kritisierten bedenklichen Form „Was geschah? - Was war früher?“ vom Inzidenzschema eher ablenken. Das Beiheft zu Salut ist auch hier besser: Nach der
Situationsbeschreibung wird mit „Wie war es?“ gefragt, nach der Handlung mit
„Was geschah?". Interessanterweise wird die Periphrase
„en tant que“ als
Substitut für das Imp.verb nirgendwo erwähnt.
Hier
wäre zweifellos noch einiges zu tun, um der Forderung nach einer durch eine
Signalgrammatik ergänzten Didaktischen Grammatik nachzukommen. Allerdings ist
die Signalgrammatik nicht ohne Probleme. Es werden zweifellos nur sehr wenige
Signalwörter zu finden sein, die beispielunabhängig eine eindeutige Funktion
haben wie „pendant que“.
Außerdem besteht die Gefahr, daß beim Lerner auch
hier das kontextuelle Verständnis auf Formalien reduziert wird und
die schematische Suche nach Signalen (im Sinnte des pattern
drills) das Verständnis des Gesamtzusammenhangs
ersetzt.
Ein
weiteres Problem didaktischer Grammatiken ist die Reduktion. Bei seiner
Analyse zum Inventar einer „Mindestgrammatik“ stellt Christ fest: „Während
der Morphologie des Tempus im allgemeinen große Aufmerksamkeit gewidmet wird,
neigen die meisten Mindestgrammatiken dazu, das Tempussystem zu
vernachlässigen.“ (Christ, 183). Ferner sollte eine didaktische Grammatik
seiner Meinung nach „nicht von der Oberflächenstruktur der ‚actes de parole’ und nicht von
der Oberflächenstruktur eines vorliegenden, statistisch auswertbaren
Textcorpus“ ausgehen, „sondern von den Ausdrucksbedürfnissen
deutschsprachiger Lerner, die in Relation gesetzt werden zu einer ausschnitthaften Beschreibung des Sprachsystems.“
(a.a.0., 185).
|
S.
39
G. Zimmermann, Erkundungen
zur Praxis des Grammatikunterrichts, 1984.
|
In
seinem Vorschlag zur „Mindestgrammatik“ des Tempussystems geht Christ von
der Systemverschiebung von Vorschau und Rückschau zwischen „Unterhaltung /
Beschreibung / Kommentar“ (im Präsenz als „Null-Tempus“ der Erzählzeit)
und „Erzählung“ (in der Vergangenheit) aus. Zum Gebrauch von Imp. und P.c. schlägt er vor:
„Mit
dem Wechsel von imparfait und passé composé in der Erzählung wird in der Perspektive des
Sprechers ausgedrückt, wie eine Handlung, ein Vorgang, ein Ereignis ihm - im
Vergleich zu dem anderen, was er berichtet - erscheinen: was vorrangig,
zentral oder besonders bedeutsam erscheint, wird im passé composé
ausgedrückt; was im Gesamtzusammenhang eher zweitrangig ist, als Rahmenhandlung,
als Erklärung der Vorgänge, als Ausschmückung erscheint, wird im imparfait ausgedrückt.“ (a.a.O.,
164).
Diese
eigenwillige Interpretation Christs scheint mir
bedenklich; sein berechtigtes Anliegen nach Reduktion und Präzision führt zu
einer Verzerrung des Aspektsystems, eine Gegenüberstellung P.c. = wichtige Vordergrundereignisse versus
Imp. = unwichtige Hintergrundinformationen wäre schlichtweg falsch.
Es
zeigt sich auch hier, wie schwierig es ist, den richtigen Gebrauch von Imp.
und P.c. zu erkennen und zu vermitteln.
Welche
Schlußfolgerungen ergeben sich aus dieser Untersuchung?
Zweifellos ist es im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht möglich, aus der
linguistischen und didaktischen Kritik der Darstellung und Erklärung des
Gebrauchs von Imp. und P.c. in den Lehrbüchern eine
vollständige Alternative für den Unterricht zu entwickeln. Wer beim heutigen
Stand der Lehrwerke eine Unterrichtsreihe zur Einführung in das Imp. und
seines Gebrauchs konzipiert, muß auf vorhandene
Materialien und hier zunächst auf das an der Schule obligatorische Lehrbuch
zurückgreifen. Immerhin ist der allgemeine Stand der Lehrwerke von so
geringer Akzeptanz bei den Lehrern, daß nur ca. 10%
der befragten Lehrer in einer Studie von Zimmermann dem Vorschlag des jeweiligen
Lehrwerks zum grammatischen Stoff folgen und 86% das Angebot modifizieren (cf. Zimmermann 1984, 48); ein Drittel der Befragten
|
S.
40
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|
hält sich zumindest an die Progression des Lehruerks im grammatischen Bereich, ein Drittel
allerdings tut dies nicht (cf.a.a.O., 50).
Es wird nun für die nachfolgende Konzeption und Durchführung
der Unterrichtsreihe darauf ankommen, die vorhandenen Unterrichtsmaterialien
im Sinne der obigen Kritik zu modifizieren.
|
S.
41
|
2.3. Allgemeine Lernziele
zur Beherrschung des Zeitengebrauchs in der Vergangenheit
Die Orientierung des Fremdsprachenunterrichts auf das Globallernziel
„kommunikative Kompentenz“ erfordert auch die
Einordnung der Grammatik und des Grammatikunterrichts unter die allgemeine
kommunikative Zielsetzung; nicht abstrakte Regelbeherrschung soll der
Schüler lernen, sondern eine „kommunikative Grammatik“ als Mittel zur
adäquaten Kommunikation in der Fremdsprache (cf.
Hessische Rahmenrichtlinien 1980, 3.2.). Als erweiterte Anforderungen an die
Qualifikation am Ende der Sekundarstufe I im Bereich des Schreibens soll der
Schüler nach den hessischen Rahmenrichtlinien „sich auch schriftlich zu
Erlebtem, Betrachtetem, Gehörtem und Gelesenem zusammenhängend äußern und
Erfahrungen fixieren können.“ (4.4.2.4.). Dies bedeutet für den Bereich
Französisch die aktive Beherrschung des Zeitengebrauchs. Das Systems von Imp./P.c. uird mehr in
Situation schriftlicher Sprachproduktion (Texte mit erzählendem Charakter,
Briefe etc.) als in mündlichen Kommunikationssituationen auftreten, daher
schließen die schriftlichen die mündlichen Anforderungen in diesem Bereich
mit ein.
Zum Erwerb der o.g.
Globalqualifikation müssen folgende produktiven Lernziele erreicht sein (die
Aufzählung beschränkt sich weitgehend auf das Imp., das P.c.
ist dazu komplementär zu betrachten):
1 . Die passive und aktive Beherrschung der Morphologie des Imparfait.
2. Die Anwendung des Imp. bei der Beschreibung von Zuständen,
Gewohnheiten, Einstellungen und Haltungen von Personen.
3. Die Anwendung des Imp. zur Charakterisierung von unabgeschlossen
betrachteten Handlungen (im Sinne von „être en train de faire qc") als
Hintergrund oder Geschehensbasis einer Erzählung.
4. Die Beherrschung der „concordance
des temps“ im „discours indirect".
5. Der Gebrauch von Imp. und P.c. in
einem erzählenden Text (im „style indirect libre") zur Markierung konnotativer Informationen
und Wertungen bestimmter Handlungen im Kontext aus der Sicht eines impliziten
Erzählers (oder eines Ich-Erzählers).
|
S.
42
|
6. Der Schüler soll lernen, im Gebrauch von Imp. und P.c. die vorgegebene objektive Struktur der
Erzählsituation mit seiner subjektiven Uertung
dieser Situation dialektisch zu verknüpfen.
|
Siehe auch mein
Schüler-Info:
Passé composé und Imparfait - Die
wichtigsten Regeln für den Gebrauch
ÖInfo Imparfait
|
[...]
|
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|
|
S.
96
|
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|
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97
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