Frankreich, Frankreich... Dokumente, Infos, Links... zu Landeskunde und Politik |
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© 2002/2005-07 by the
author and Kommune Last
update der Nachträge: 16.11.2007 |
Ras-le-bol en permanence... (Mehr als)
Zwanzig Jahre Unzufriedenheit Rückblick auf die französische
Politik 1981-2002, mit Nachträgen 2005, 2006, 2007 und
Kommentar zur Präsidentschaftswahl. |
Leicht redaktionell überarbeitete und
aktuell ergänzte Fassung eines Artikels, der unter dem Titel „Zwanzig Jahre
Unzufriedenheit“ in Kommune 9/2002, S.13-18, erschienen ist. |
Desillusionierung... Perspektivlosigkeit...
Politikverdrossenheit? Machen es uns die Franzosen vor? Mit einem anderen
politischen System aber sehr ähnlichen politischen Problemen bereiten die
Franzosen sich selbst seit über zwei Jahrzehnten politische Wechselbäder bei
jeder Wahl von nationaler Dimension: Präsidentschafts-, Parlaments- und
Regionalwahlen (letztere finden alle zu einem gemeinsamen Termin statt). Als
Resultat droht eine strukturelle Handlungsunfähigkeit der jeweiligen
Regierung. |
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Übersicht: 1.
Das Karussell der Kabinette 2. Die Erosion der
Utopien, die vergessenen Errungenschaften und die Zersplitterung der Linken 3. Die Erosion des
gesellschaftlichen Zusammenhangs und der Aufstieg Le Pens 4. Die Erosion der V. Republik Nachtrag 2005...: Von einem Déja vu zum anderen |
[1] Zur Erinnerung
bzw. Klarstellung: Der Begriff „Rechte“ und „Linke“ ist in Frankreich
im Rahmen des parlamentarischen Spektrums institutionalisiert, da sich in der
klassischen Rollenverteilung des Mehrheitswahlrechts letztlich immer zwei
Kandidaten gegenüberstehen. Der Begriff „rechts“ hat somit nichts
Pejoratives oder Kritisches wie im deutschen Sprachgebrauch, die antidemokratische
Rechte wird entsprechend als „rechtsextrem“ bezeichnet. [2] Edith Cresson machte ein
Jahrzehnt später international Schlagzeilen als führendes Mitglied der zurückgetretenen
EU-Kommission. [3]
Der Fall wurde nie richtig aufgeklärt, sondern gleich als
Selbstmord ad acta gelegt. Dabei hatte das Szenario alle Ingredienzien eines
billigen Krimis: Bérégo-voy erschoss sich angeblich
mit der Waffe seines Leibwächters, dieser fand ihn tot und war auch der Letzte,
der ihn lebend gesehen hatte. Dies war jedoch kein Anlass für eine
polizeiliche Untersuchung mit dem Verdacht auf Mord. [4] Dieses „Programm“ bestand aus einem Satz:,Réduire la fracture sociale“ (Die soziale Kluft verringern). |
1. Das
Karussell der Kabinette 1981 siegte Mitterrand auch für die Linke überraschend bei der
Präsidentschaftswahl, löste das Parlament auf und ermöglichte dadurch, den
linken Elan auch in eine parlamentarische Mehrheit umzusetzen. Bei der
nächsten regulären Parlamentswahl 1986 schlug die Enttäuschung über
die sozialistische Politik trotz des zuvor intern vollzogenen Regierungs- und
Orientierungswechsels von Mauroy zu Fabius als Premierminister in eine rechte1 Mehrheit um, und es
kam zur ersten zweijährigen Kohabitation mit Chirac als Chef einer rechten
Regierung unter einem linken Präsidenten, dessen verfassungsmäßige Amtszeit
sieben Jahre betrug. Bei der nächsten Präsidentschaftswahl 1988 siegte
Mitterrand erneut, löste das Parlament wieder auf und ermöglichte dadurch
auch eine neue linke Regierung. In den nächsten fünf Jahren fanden gar zwei
interne Regierungswechsel statt; der auch nach seinem Sturz weiterhin populäre
Premier Michel Rocard musste sein Amt nach drei Jahren an die katastrophale
Edith Cresson abgeben2, diese musste es dann nur ein Jahr später
dem biederen, aber durchaus sympathischen Finanzexperten Bérégovoy
überlassen, der als Rettung in letzter Minute galt. Doch er konnte die
Immobilität sozialistischer Regierungspolitik, den Verfall der Partei gegenüber
dem sich autokratisch gerierenden Staatspräsidenten, die Erosion der Linken
insgesamt und deren Vertrauensverlust auch angesichts der Finanzaffären
nicht stoppen, in die er als enger Vertrauter Mitterrands selbst verwickelt
war - angeblicher Grund für seinen angeblichen Selbstmord3 nach
der verlorenen Parlamentswahl 1993. So kam es zur Wiederholung des
Szenarios aus der ersten Amtszeit Mitterrands, das heißt zur zweiten
zweijährigen Kohabitation unter einem sozialistischen Präsidenten mit einem
gaullistischen Premierminister, diesmal Edouard Balladur. Bei der nächsten
Präsidentschaftswahl 1995 ging die Ära Mitterrand zu Ende und
scheinbar auch die der Linken insgesamt, die die Wahl verlor und bei der
darauf folgenden Parlamentsneuwahl sogar eine verheerende Niederlage
einstecken musste. Nun könnte man sagen, die Rechte hatte hier von der
vorangegangenen Kohabitation profitiert und sich nun entscheidend durchgesetzt,
in Wirklichkeit jedoch fand auch hier wieder eine Wechselwahl statt, denn nicht
der amtierende Premier Balladur gewann die Präsidentschaftswahl, bei der er
in Konkurrenz zu Chirac kandidierte, sondern eben Chirac, der es verstand,
sich mit einem zumindest verbal explizit sozialen „Programm“4 gleichermaßen
als Alternative zur Linken, die bis dahin ununterbrochen die Präsidentschaft
innehatte, und zur amtierenden rechten Regierung zu präsentieren. So schlug
er im ersten Wahlgang seinen
Parteifreund Balladur, über dessen Regierung das Wahlvolk enttäuscht war,
und im zweiten Wahlgang seinen sozialistischen Herausforderer Jospin, der
auf der Linken das nicht vermochte, was Chirac auf der Rechten gelang, nämlich
Kontinuität der Linken und Wandel gegenüber der Ära Mitterrand
zusammenzubringen. So siegte der scheinbar ewige Verlierer Chirac über alle
Konkurrenten von rechts und links. |
[5] Resident/President: Wortspiel des
Herausgebers von Le Monde, Jean-Marie Colombani,
auf die Selbstentmachtung des Hausherrn des Elysée-Palastes. |
Aus Gründen, die letztlich unklar geblieben sind, vorgeblich
aber zur Sicherung einer französischen Regierungskontinuität bei den
anstehenden Entscheidungen auf europäischer Ebene (Einführung des Euro),
löste Präsident Chirac 1997 nach nur zwei Jahren einer bürgerlich-rechten
Regierung mit komfortabler Mehrheit unter Premier Juppé das Parlament auf.
Wahrscheinlich erhoffte er sich die Verlängerung des Mandats für die Rechte
durch eine „rechtzeitige“ Neuwahl und damit die Vermeidung einer Kohabitation
am Ende der siebenjährigen Präsidentschaft, wie sie zuvor zwei Mal unter Mitterrand
stattgefunden hatte; dieser Wunsch wurde jedoch vom Wahlvolk nicht erfüllt,
das stattdessen der Linken eine neue Chance verschaffte. Die Folge war eine
Kohabitation in umgekehrter Konstellation: rechter Präsident, linke Regierung
unter Lionel Jospin, und diesmal über eine ganze Legislaturperiode von fünf
Jahren. Chirac ließ in dieser Zeit per Plebiszit die Verfassung ändern und
die Amtszeit des Präsidenten auf fünf Jahre verkürzen, wodurch zumindest
eine zeitliche Kohärenz mit der Legislaturperiode hergestellt wurde.
Außerdem wurde festgelegt, dass 2002 zuerst die Präsidentschaftswahl
und anschließend die Parlamentswahl stattfinden sollte.
Beide bescherten der Rechten den scheinbar größten Triumph ihrer jüngeren
Geschichte, der sozialistische Präsidentschaftskandidat Jospin wurde durch
das Stimmensplitting auf linke Konkurrenten so geschwächt, dass der rechtsextreme
Le Pen als lachender Dritter auf Platz zwei im ersten Wahlgang landete und
Jospin für die darauf folgende Stichwahl ausschied. Die Linke, die zum
ersten Mal in der Geschichte keinen eigenen Kandidaten im zweiten Wahlgang
mehr hatte, verhalf mit knirschenden Zähnen Chirac gegen seinen Herausforderer
Le Pen zu einer „republikanischen Mehrheit“ von 80 Prozent - eine Mehrheit,
die Chirac zu Unrecht aber mit Erfolg in eine Mehrheit für sein politisches
Programm umgedeutet hat, denn der Sieg der Rechten bei der anschließenden
Parlamentswahl ist in erster Linie einem allgemein geteilten Verdruss über
die ewige Kohabitation geschuldet, was namentlich zu einer Wahlenthaltung auf
der Linken geführt hat. So werden wir nie wissen, wie die beiden Wahlen unter
normalen Verhältnissen ausgegangen wären, wie groß die Enttäuschung über
fünf Jahre Regierung Jospin jenseits des von vielen später bedauerten
Protestierens im ersten Turnus der Präsidentschaftswahl war und welches
Resultat bei einer Konfrontation Chirac - Jospin in der Stichwahl
herausgekommen wäre, denn auch Chiracs Popularität hatte schwer gelitten,
durch nicht gehaltene Versprechungen, den kapitalen Fehler der
Parlamentsauflösung, mit der er sich eine fünfjährige Zeit als „Résident“5
im Elysée eingebrockt hatte, aber auch durch Affären
aus seiner früheren Amtszeit als Pariser Bürgermeister. |
Trichet wurde dann freigesprochen. Anm. 2005. |
2. Die Erosion der Utopien, die vergessenen
Errungenschaften und die Zersplitterung der Linken Fast vergessen, weil selbstverständlich geworden, sind die
realen sozialen Errungenschaften, die die Regierungen Mauroy und Rocard
tatsächlich Frankreich bescherten: von der Einführung der Sozialhilfe (RMI)
bis zur Bindung der Mietsteigerungen an den Preisindex im Baugewerbe. Auch
im ökonomisch-technologischen Bereich hat Frankreich in den 14 Jahren der
Ära Mitterrand einen entscheidenden Schritt nach vorne getan und sich in
vielen Bereichen modernisiert, man denke nur an den Kommunikationssektor. Auch
dies ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Die sozialen Errungenschaften
betreffen aber nur eine Minderheit unter den Franzosen, selbst die
Mietpreisbindung, da die meisten, auch mittlere und niedrigere Einkommensschichten
(Doppelverdienerhaushalte vorausgesetzt), auf den Erwerb von Wohneigentum
setzen und dies angesichts der niedrigen Grundstückspreise (Paris und die
großen Städte ausgenommen) auch können. Das Interesse dieser breiten
Schichten liegt jedoch angesichts der Verschuldung zum Erwerb des Wohneigentums
naturgemäß in der Verbesserung der Einkommenslage, während die zunehmend
mehr werdenden Arbeitslosen auf Arbeit hofften, die ihnen Rechte und Linke
im Wechsel versprachen, aber nicht oder jedenfalls nicht ausreichend geben
konnten. Nach der deutschen Wiedervereinigung gab Mitterrand im französischen
Fernsehen gar der Zinspolitik der deutschen Bundesbank die Schuld an der
hohen Arbeitslosigkeit in Frankreich. So reduzierte sich die soziale
Zielsetzung linker Regierungen auf die Marge des finanziell Machbaren mit
stetiger Hoffnung auf Wirtschaftsaufschwung, aber wenig Engagement dafür.
Die großen Auseinandersetzungen der Achtzigerjahre hatten sich auf die
klassischen ideologischen
Konfliktfelder Bildungspolitik und Verstaatlichung sowie staatliche
Lenkung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik konzentriert (z. B. auch die
Erhöhung des staatlich festgesetzten Mindestlohns). Während die Konflikte
um die durchschnittlich alle 2 Jahre wechselnden Erziehungsminister und deren
im selben Rhythmus angefangene, aber nie zu Ende geführten und zum Teil in
sich absurden Reformen des Schul- und Hochschulwesens bis zum Ende der Regierung
Jospin anhielten und schließlich einen großen Teil der traditionell stark
links orientierten Lehrerschaft verprellten (dies war ein Faktor für die
Niederlage Jospins 2002), löste sich die alte Vision von der vermeintlich sozial
orientierten weil staatlich dirigierten Wirtschaftspolitik nahezu von selbst
auf. Nicht die Richtungsänderungen durch die Regierungswechsel, der
Dauerstreit um die Reprivatisierung in Kohabitationszeiten, sondern das
Zerplatzen des Mythos von Staatswirtschaft und planwirtschaftlicher
Steuerung des Marktes führte den alten ideologischen Kern linker Politik ad
absurdum, zuletzt durch die Skandale um die Staatsunternehmen wie den Crédit
Lyonnais, dessen gefälschte Bilanzen ein gigantisches Defizit versteckten,
bis die Seifenblase platzte. Für die Sanierung des Unternehmens zu seiner letztlichen Privatisierung mussten 100 Milliarden Francs
(etwa 15 Mrd. Euro) aufgebracht werden, vorwiegend durch den Steuerzahler,
und vor kurzem hat der Prozess gegen niemand Geringeren als den gegenwärtigen
Chef der französischen Nationalbank Jean-Louis Trichet
begonnen, der seinerzeit im Finanzministerium an den Bilanzfälschungen beteiligt
gewesen sein soll. Ein Kapitel französischer Wirtschaftspolitik, an dem auch
rechte Regierungen beteiligt waren, doch nachhaltig zerstört wurde dadurch
der spezifisch französische Traum vom Sozialstaat durch Sozialwirtschaft. Im
Schatten des Falles World.com in den USA erscheint das Finanzloch des Crédit
Lyonnais heute noch vergleichsweise gering, doch war dies nicht der einzige
Fall seiner Art in Frankreich und letztlich wurden durch die notwendige
Sanierung gigantische öffentliche Summen absorbiert, die anderweitig
fehlten. Bilanz: kein sozialer Gewinn, sondern ein finanzielles und damit
auch soziales Fiasko für die Gesellschaft. Gegenwärtige Gewerkschaftskämpfe
gegen die Privatisierung des Energie Sektors sind daher nur Nachhutgefechte
zur Sicherung der Arbeitsplätze, allenfalls bei der Atomenergie geht es noch
um die alte jakobinische Doktrin staatlicher Prärogativen. |
[6] Erinnert sei an
das Diamantengeschenk des zentralafrikanischen „Kaisers“ Bokassa an Giscard. |
Um die Niederlage Jospins zu verstehen, muss man die letzten
zwei Jahrzehnte französischer Politik und namentlich der Linken inhaltlich
bilanzieren. Von der Wahl Mitterrands zum Präsidenten 1981 bis zur Wiederwahl
Chiracs 2002 fanden sämtliche nationalen Entscheidungen -alles, wie eben
dargelegt, Wechselwahlen - nicht wirklich für eine Alternative, sondern
vor allem gegen das Bestehende statt. Beinahe vergessen ist heute,
dass Mitterrand 1981 in einer Situation antrat, die auf der Linken durch die
Spaltung des „Volksfront“-Bündnisses gekennzeichnet
war, weil der Konsens über das programme commun zwischen Sozialisten und Linksliberalen auf
der einen sowie Kommunisten auf der anderen Seite zuvor zerbrochen war. Mitterrand
holte jedoch entscheidende Prozentpunkte in der Mitte, weil auch weite
Kreise der bürgerlich-liberalen Wählerschaft die monarchischen Allüren
Giscard d'Estaings6 satt hatten. Der Elan auf der Linken war
zunächst weitaus geringer als noch zuvor bei den Kommunalwahlen, wo die noch
vereinigte Linke Tabula rasa in den Städten Frankreichs gemacht hatte, und
angesichts des inhaltlichen Bruchs des Bündnisses war unklar, wie weit
trotzdem die beim Mehrheitswahlrecht absolut notwendige Solidarität des Stimmentransfers
auf den jeweils besser platzierten linken Kandidaten im zweiten Wahlgang
halten würde. Sie hielt - und bescherte der Linken eine ungeahnte
Renaissance, in der Regierung jetzt freilich ganz anders ge-wichtet,
nämlich unter einer eindeutigen Führung der Sozialisten. Gleichwohl begann
unter Premierminister Pierre Mauroy keine „sozialdemokratische“ Politik,
denn die Verstaatlichungsdoktrin war ideologischer Grundpfeiler nicht nur des
kommunistischen Partners, sondern auch innerhalb der Sozialistischen Partei
und bei den Gewerkschaften Mehrheitsmeinung. Trotzdem erfolgte keine sozial(is-tisch)e Transformation des Kapitalismus, wie sie
manche erhofft und andere befürchtet hatten. Weder Sozialismus noch Sozialdemokratie,
das war der Spagat, mit dem die Regierung Mauroy in den ersten Jahren
konfrontiert war. Während einerseits die Kapitalflucht mit drastischen
Gesetzen eingedämmt werden musste - was in der heutigen EU gar nicht mehr
möglich wäre -, konnte auf der anderen Seite die Flucht enttäuschter Wähler
von der Mitte nach rechts oder von links in die Wahlenthaltung nicht gebremst
werden, auch nicht durch den Kurswechsel zum Pragmatismus unter dem
Technokraten Laurent Fabius in der letzten Phase der ersten Präsidentschaft
Mitterrands oder unter dem Sozialdemokraten Michel Rocard zu Beginn der
zweiten Amtszeit Mitterrands. Das vom Mehrheitswahlrecht aufgezwungene Wahlbündnis
(ohne programmatische Grundlage) zwischen Sozialisten und Kommunisten und
später die zusätzlich schwierige Einigung mit den Grünen erzeugten jeweils
politische Reibungen und entsprechende Verluste bei der Konzentration der
Stimmen im zweiten Wahlgang, die dem linken Lager schon bei geringen Einbußen
von ein paar Prozent gleich eine erdrutschartige Niederlage bei der Verteilung
der Parlamentsmandate bescheren konnte, da der Stimmentransfer auf der
Rechten meistens wesentlich disziplinierter erfolgt und die demokratische
Rechte auch trotz ihrer formalen Abgrenzung von der extremen Rechten seit der
Präsidentschaft Chiracs nach wie vor in der Stichwahl Stimmen von Wählern
des Front National aus dem ersten Wahlgang bekommt. Rocards Versuch, nicht
nur Wähler aus der Mitte anzusprechen, sondern für ein strategisches Mitte-links-Bündnis durch Einbeziehung einiger Minister
aus dem liberalen Milieu in seine Regierung zu werben, musste angesichts des
Mehrheitswahlrechts fehlschlagen, das eine unerbittliche Grenze zwischen
links und rechts zieht. |
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Paradoxerweise war die jetzt abgewählte Regierung Jospin in der
ganzen Zeit die einzige, die mit einem dezidierten Programm zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit antrat, nämlich durch die staatlich verordnete Arbeitszeitverkürzung
auf die 35-Stunden-Woche. Auch in anderen Bereichen wie in der längst
überfälligen Reform der Justiz zeigte diese Regierung anfangs viel Mut.
Doch zerrannen alle positiven Ansätze wie durch ein Gesetz der Trägheit des
Systems unter den Fingern der couragiertesten Minister. Alle Asse der
Regierung schieden in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode aus der Regierung
aus: Wirtschaftsminister Strauss-Kahn wegen eines Korruptionsverdachts, von
dem er zwar gerichtlich freigesprochen wurde, der ihn aber erst einmal ins
politische Abseits gebracht hatte - übrigens nicht zum Verdruss
parteininterner Rivalen wie seinem Nachfolger im Ministerium und als „Nr. 2“
der Partei, Laurent Fabius, denn Strauss-Kahn galt als Hoffnungsträger für
die zukünftigen Wahlen, er schien die ideale Verkörperung der Synthese
zwischen Wirtschaftspragmatismus und Sozialpolitik. Arbeits- und
Sozialministerin Martine Aubry, die mit
Strauss-Kahn die Arbeitszeitverkürzung sowie ein spezielles
Arbeitsbeschaffungsprogramm für junge Arbeitslose durchgesetzt hatte,
verabschiedete sich von selbst rechtzeitig aus der Regierung, um sich in
Lille als Bürgermeisterin eine Hausmacht für die Zukunft zu verschaffen (im
System des Mehrheitswahlrechts tatsächlich ein entscheidender Faktor
politischer Karrieren), was sich aber im Nachhinein wohl als Fehlkalkulation
erwies, da sie 2002 ihren Wiedereinzug als
Abgeordnete ins neue Parlament verfehlte. Justizministerin Elisabeth Guigou stieß mit ihren fast revolutionären
Reformvorstellungen angesichts der seit der Französischen Revolution
verkrusteten Strukturen im Gerichtswesen auf stahlharten Widerstand
einerseits des Präsidenten Chirac, aber auch aus Kreisen der Richterschaft
selbst, deren Corpsgeist und Einbindung in die politischen Strukturen sich
als stärker erwiesen als der Wunsch nach mehr Freiheit, die auch mehr
Selbstverantwortung bedeutet hätte - angesichts der anstehenden
Dauerkonflikte um Ermittlungen gegen hochrangige Politiker ein mehr als
heißes Eisen. So blieb es bei einer Minireform und Elisabeth Guigou übernahm von Martine Aubry
das Sozialministerium, wo es nach der vollzogenen Reform der Arbeitszeitverkürzung
praktisch nichts mehr zu tun gab. Ziemlich begrenzt blieb auch eine weitere
wichtige Reform der Institutionen, nämlich die Begrenzung der Ämterhäufung
der Politiker. Nach wie vor haben die meisten Abgeordneten oder Minister auch
ein lokales Mandat als Bürgermeister, ein durch das Mehrheitswahlrecht fast
notwendiges Prinzip, da jeder Kandidat seinen lokalen Wahlkreis erobern muss
und eine entsprechende Verankerung vor Ort braucht (daher auch der Versuch
von Martine Aubry, dies nachzuholen). Der Sprung
ins Parlament erfolgt daher meistens über die Zwischenstation des örtlichen
Rathauses. Doch auch zu der unter Jospin ins Auge gefassten grundlegenden
Wahlrechtsreform (Einführung einer „Dosis Verhältniswahl“, wie es immer
hieß) kam es schon aus dem Grunde nicht, weil das Mehrheitswahlrecht immerhin
den Einzug des Front National ins Parlament verhinderte. So sind auch die
Grünen im jüngst gewählten Parlament trotz circa 5 Prozent Stimmen nur mit
drei Abgeordneten vertreten, und dies nur durch das Bündnis mit den
Sozialisten im zweiten Wahlgang. |
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Die Arbeitszeitverkürzung: letzte Utopie von Gewerkschaftern
und Sozialisten zur Brechung des kapitalistischen Gesetzes von Angebot und Nachfrage
auf dem Arbeitsmarkt? Angesichts einer weitgehend machtlos gewordenen Gewerkschaftsbewegung
in Frankreich, die nur in einigen speziellen Bereichen noch echten Druck
auszuüben vermag und dies dort dafür umso mehr tut, gab es in Frankreich im
Gegensatz zu Deutschland nur den Weg eines staatlichen Reglements zur allgemeinen
Verkürzung der Arbeitszeit. Heraus kam dabei eine entsprechend bürokratische
Konstruktion, die einen gestaffelten Kalender je nach Unternehmensgröße
sowie finanzielle Unterstützungen durch den Staat gegen den Nachweis von
Neueinstellungen vorsieht. Auch wenn man an der
Selbstdarstellung der Regierung im Hinblick auf den dadurch erzielten
Einstellungseffekt Abstriche macht, so hatte die Arbeitszeitverkürzung sicherlich
eine Wirkung auf den Arbeitsmarkt, brachte aber nicht den erhofften
Durchbruch. Vielleicht wird einmal eine spätere Statistik bilanzieren, wie
oft die Maßnahme durch Überstunden unterlaufen wurde. Bezeichnend ist, dass
der öffentliche Dienst weitgehend von der 35-Stun-den-Woche ausgenommen
wurde, was im Rückblick noch einmal einen Kontrapunkt zur ehemaligen
ideologischen Überhöhung des Staatssektors setzt. Außerdem musste jüngst im
Krankenhauswesen, das an chronischem Personahnangel leidet, vereinbart werden,
dass es statt der realen Arbeitszeitverkürzung einen finanziellen Ausgleich
(sprich: institutionalisierte Überstunden) geben wird. |
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Gegenüber allen vorherigen Regierungen hatte die von Jospin
geführte immerhin trotz aller Ministerwechsel die längste Kontinuität (eine
ganze Legislaturperiode) zu verzeichnen, sie trat mit einem kühnen Programm
an, das letztlich jedoch wohl mehr enttäuschte als befriedigte, weil mehr
versprach als einlöste, und war am Ende „à bout de souffle“ (am Ende ihrer Kräfte). Jospin stolperte auch
über ein nicht erkanntes oder zu gering eingeschätztes gesellschaftliches
Problem: die innere „Unsicherheit“ (sprich: Kriminalitätsrate) in immer
weiteren Gegenden Frankreichs, nicht mehr nur in eingegrenzten sozialen
Brennpunkten. Davon profitierten Le Pen, der Jospin im ersten Wahlgang
übertrumpfte, sowie Chirac, der dies rechtzeitig erkannt und zum zentralen
Punkt seines Wahlprogramms gemacht hatte. Es zeugt für die Uneinsich-tigkeit der Sozialisten, dass sie angesichts einer
offensichtlich dramatischen Lage in diesem Bereich auch nach der Niederlage
den vorgeschlagenen, weitgehend dem englischen Vorbild folgenden Maßnahmen
der neuen Rechts-Regierung unter Raffarin nur eine
pauschale Ablehnung statt einer differenzierten Kritik entgegenzusetzen
vermag. Dabei hatte es unter Jospin durchaus Ansätze in diese Richtung
gegeben, nämlich durch Innenminister Chevènement,
der jedoch als letzter Jakobiner der alten Garde wegen der erweiterten
Autonomie für Korsika ebenfalls aus der Regierung ausgeschieden war und mit
seiner Konkurrenzkandidatur im ersten Präsidentschaftswahlgang Jospin um den
2. Platz gebracht und dadurch der Linken insgesamt zu ihrer Niederlage
verholfen hat. Dass Chevènement samt seinen wenigen
Getreuen auf einer eigenen Liste dann auch gnadenlos bei der Parlamentswahl
abgestraft wurde und seinen Parlamentssitz verlor, ist wohl der vorläufig
letzte Akt des an Episoden zahlreichen Kapitels der Selbstzerfleischung der
Linken (unter Einschluss der Grünen). Doch auch das Phänomen der linken
Fundamentalopposition gegen die Sozialisten, personifiziert durch mehrere
Kandidaturen aus dem alten linksradikal-trotzkistischen
Umfeld im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl (zusammen 14 Prozent,
dagegen vollkommen unbedeutend bei der Parlamentswahl), zeigt das Dilemma
der Sozialisten, die in der Mitte nicht hinzugewinnen können, was sie an
altlinken Wählerschichten verlieren, dies gilt vor allem auch für den
Bündnispartner KPF, dessen Stimmeneinbruch auf 3,4 Prozent wohl zum großen
Teil - Ironie der Geschichte - den Augenblickserfolg der Trotzkisten
erklärt. Das Dilemma des linken Radikalismus alter Prägung, wie er sich in
Frankreich konserviert und in Arlette La-guiller
und ihrer Lutte ouvrière
seine klassische 5-Prozent-Vertretung gefunden hat, zeigt sich jedoch
auch darin, dass sich Arlette nach dem Ausgang des 1. Wahlgangs kaum zur Erkenntnis
durchzuringen vermochte, dass Chirac und Le Pen politisch nicht gleichgesetzt
werden konnten. |
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3. Die Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhangs und
der Aufstieg Le Pens Das nicht mehr gemeinsame, aber doch in einigen Punkten
konvergierende Programm der Linken 1981 war im sozialen und wirtschaftlichen
Bereich auf die Situation der prosperierenden Wirtschaft der Siebzigerjahre
zugeschnitten. Im Grunde genommen war es schon nach drei Jahren mit dem
Regierungswechsel zu Premier Fabius obsolet geworden. Weder linke noch
rechte Regierungen haben es seither geschafft, den neuen realen Problemen
der französischen Gesellschaft Rechnung zu tragen. Zum Beispiel die
Immigration: Frankreich verstand sich stets als Einwanderungsland, holte gezielt
Einwanderer ins Land und assimilierte sie weitgehend. Kein europäisches Land
hat heute einen so hohen Anteil an Nachkommen von Einwanderern (mehr als ein
Drittel). Das französische Prinzip der automatischen Einbürgerung der in
Frankreich geborenen Migrantenkinder garantierte
eine kulturelle Assimilation jedoch nur unter der Bedingung der sozialen
Integration - das heißt in Zeiten der Vollbeschäftigung. Mit der entstehenden
und sich vertiefenden Arbeitslosigkeit spaltete sich die französische Gesellschaft
nicht nur sozial in zwei Populationen: Die einen, die „drinnen“ sind, und
die anderen, die „draußen“ sind, denn diese Spaltung ist nicht nur eine
soziale, sondern hier treffen soziale, „ethnische“ und „geografische“
Ausgrenzung zusammen, denn es gibt unter den Ausgegrenzten einen signifikant
hohen Anteil an Franzosen ausländischer Herkunft und diese Trennung in zwei
Welten ist zusätzlich, wenn nicht gar ursächlich bedingt durch die
Ansiedlungspolitik in Wohngettos am Stadtrand, den berühmt-berüchtigten banlieues - ein Begriff, dessen
etymologische Bedeutung („Bannmeile“) geradezu die heutige Realität kennzeichnet.
Dabei ist es letztlich egal, wie einmal ein Betroffener im Fernsehen erklärte,
ob man dort als „echter“ Franzose oder Nachkomme von Einwanderern lebt, mit
der entsprechenden Wohnadresse findet man nie eine Arbeit, ohne Arbeit aber
keine andere Wohnung ... |
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Die politische Ausbeutung dieses Problems durch die extreme
Rechte unter Le Pen ist bekannt und braucht hier nicht weiter detailliert zu
werden. Symptomatisch für die Verdrängung dieses Problems ist jedoch auch
die Tatsache, dass Le Pen bis zu seinem spektakulären Abschneiden im ersten
Turnus der Präsidentschaftswahl 2002 immer wieder tot gesagt und seine
Wähler als quasi nicht seriöse Protestwähler abqualifiziert wurden. Dabei
zeigen soziologische Umfragen seit zwei Jahrzehnten, dass ein Drittel der
französischen Bevölkerung Le Pens nach außen präsentiertes Weltbild weitgehend
teilt, aber davon wiederum nur etwa die Hälfte (manchmal mehr, manchmal
weniger) auch bereit ist, ihn oder auch seine Partei zu wählen, während die
andere Hälfte strategisch auf die klassische Rechte setzt, vor allem, wenn
diese sich Themen Le Pens zu Eigen macht. Implantiert hat sich die extreme
Rechte, deren Spaltung vor einigen Jahren durch den jüngsten Erfolg Le Pens
wahrscheinlich bald Geschichte sein wird, dauerhaft mit Anteilen von 25 bis
40 Prozent der Wählerstimmen auf kommunaler und regionaler Ebene in weiten
Bereichen Süd- und Ostfrankreichs. Nicht zu unterschätzen ist dabei der
Anteil der Wähler aus dem Reservoir der Arbeitslosen und auch der in Lohn
und Brot befindlichen Arbeiter, die zum Teil direkt von den Kommunisten zu Le
Pen übergelaufen sind. Bei der Präsidentschaftswahl hatte Le Pen die meisten
Arbeiterstimmen sowie auch die meisten Stimmen an Jungwählern gewonnen, ein
gelungener Fischzug in einer zunehmend entpolitisierten Jugend. |
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Es war lange verpönt zu sagen, Le Pen stelle die richtigen
Fragen, gebe aber die falschen Antworten, tatsächlich hat Le Pen aber nicht ganz
Unrecht, wenn er sagt, er habe die französische Politik schon ein Stück weit
„lepenisiert“. Das entscheidende Wahlkampfthema
2002 hatte Chirac ihm entrissen: die Klein- und Jugendkriminalität, die immer
mehr auch den alltäglichen Erfahrungshorizont des französischen Normalbürgers
berührt. Tatsächlich gab es schon vor Jahren Reportagen im französischen
Fernsehen von „gesetzesfreien Zonen“, in denen das Recht von Banden herrschte
und in die sich die Polizei praktisch nicht mehr hineintraute - amerikanische
Verhältnisse gewissermaßen. |
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Die soziale Struktur und Kohärenz der französischen
Gesellschaft, auch bei traditionell starkem Einkommensgefälle (woran weder
die Linke unter Mitterrand noch Chirac trotz seiner Kritik der „sozialen
Kluft“ etwas substanziell geändert haben), hat sich entscheidend verändert,
wofür auch der stetige Niedergang der Kommunisten mit zuletzt unter 4 Prozent
einen Hinweis liefert. Dass es die Partei als solche überhaupt noch gibt, ist
übrigens dem Rettungsanker des Mehrheitswahlrechts zu verdanken, wo das
Lagerdenken durch den Stimmentransfer im zweiten Wahlgang immer noch greift.
Das klassische Wählerpotenzial der Linken, selbst im weiteren Sinne der
Diskussionen der Siebzigerjahre verstanden, schrumpft stetig; die Arbeitslosen
und Sozialhilfeempfänger können von der Linken jedoch nicht durch den
erreichten Status quo ihrer sozialen Absicherung als Wähler gehalten
werden, der inzwischen auch von der Rechten nicht mehr infrage gestellt wird
(bis auf weiteres jedenfalls), sondern hier hätte es einer Perspektive des
sozialen Aufstiegs (durch einen Arbeitsplatz usw.) bedurft. Die große
Mittelschicht der französischen Bevölkerung hat jedoch (subjektiv oder
objektiv, das sei hier dahingestellt ...), wie oben dargestellt, vor allem
auch Sorgen um das Einkommensniveau unabhängig von Arbeitslosigkeit oder
drohendem Arbeitsplatzverlust. Mit den Versprechungen auf substanzielle
Steuersenkungen hat hier die Rechte auch einen entscheidenden Pluspunkt in
den Wahlen 2002 gewonnen. Da angesichts der Schwäche der Gewerkschaften auf
der Einkommensseite kaum Aussichten auf Verbesserung bestanden, konnte eine
Veränderung de facto nur durch eine Steuerreduzierung kommen. |
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4. Die Erosion der V. Republik Die andauernde Unzufriedenheit der Mehrheit der französischen
Wähler ist das Resultat einer politischen Paralyse, die auch den
Institutionen der V. Republik geschuldet ist. Die Verfassung wurde 1958 ganz
auf Charles de Gaulle zugeschnitten und ging von „langen Zyklen“ politischer
Kontinuität und Kohärenz zwischen Präsident und Parlament vor dem Hintergrund
einer verfassungsmäßig entsprechend starken Stellung des Präsidenten aus.
Dies funktionierte zunächst bis 1986, als zum ersten Mal die Partei des amtierenden
Präsidenten in seiner noch laufenden Amtszeit die Parlamentswahl verlor und
somit, damals vollkommen neu, eine „Kohabitation“ entstand. Viele Beobachter
sahen damals schon das Ende der V. Republik voraus, doch der Ausnahmezustand
der Kohabitation sollte sich als Dauerbrenner mit regelmäßig erneuerter Zündung
erweisen. Wenn sich auch herausstellte, wie wenig Macht der Präsident
innenpolitisch gegenüber einer gegnerischen Parlamentsmehrheit hatte (anders
als etwa in den USA), so gelang es doch Mitterrand wie Chirac, der ungeliebten
Kohabitationsregierung jeweils genug Knüppel zwischen die Beine zu werfen. In
den zweijährigen Kohabitationsphasen unter Mitterrand geschah ohnehin nichts
und selbst in den fünf Jahren der Regierung Jospin unter Präsident Chirac
wurde die zweite Hälfte ganz und gar von den anstehenden Wahlen dominiert,
das heißt paralysiert. Mit der Angleichung der Präsidentschaft auf die
fünfjährige Legislaturperiode werden zukünftig jedoch die Parlamentswahlen
zur Makulatur, weil nämlich die Entscheidung wie diesmal schon mit der
vorausgehenden Präsidentschaftswahl fallen wird. Die kohabitationsmüden
Franzosen werden kaum in der anschließenden Parlamentswahl eine andere
Mehrheit wählen, dies zeigte gerade die vergangene Wahl. Eine erstaunliche
Wendung in der Geschichte der V. Republik: Während bis vor kurzem alle
Analysten eine Schwächung des Präsidenten sahen und die Verkürzung seiner
Amtszeit auch als Eingeständnis derselben interpretierten, könnte in
Wirklichkeit das Gegenteil dabei herauskommen. |
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Ein weiterer Dauerbrenner in der Institutionenfrage
ist die seinerzeit von der Linken mit viel Enthusiasmus ins Spiel gebrachte
Dezentralisierung, die Einrichtung von Regionen mit Parlamenten und
Regierungen, die Entmachtung der ausschließlich der Regierung verantwortlichen
Präfekten der Departements. Hier zeigte sich vielleicht sogar die erste große
Enttäuschung über die Präsidentschaft Mitterrands, denn die Hoffnung der Bre-tonen, Elsässer, Korsen und anderer auf mehr Autonomie
sowie überhaupt der „Provinz“ auf mehr Eigenständigkeit gegenüber Paris
erwies sich als die erste Illusion. Politisch entmachtet wurden tatsächlich
die Präfekten der Departements und damit immerhin ein Pfeiler des französischen
Zentralismus seit Napoleon eingerissen. Doch dabei blieb es. Die neu
eingerichteten Regionen repräsentieren nur eine zusätzliche bürokratische
Ebene in der Hierarchie von oben nach unten, weil ihrer theoretischen
politischen Kompetenz keinerlei finanzielle Macht entspricht: Das Budget
einer Region wie etwa der Bretagne ist nicht größer als das ihrer Hauptstadt,
es deckt vor allem die Kosten der eigenen Bürokratie. Bei allen bedeutenden
Projekten müssen die Regionen eine Refinanzierung durch die Pariser
Zentrale einfordern, die deswegen das letzte Wort behält. Die Regionen sind
verglichen mit unseren Ländern nichts mehr als „böhmische Dörfer“. Symptomatisch
ist der bauliche Zustand vieler Schulen, seit dies in die Kompetenzen der
Regionen übertragen wurde, ohne dass sie die entsprechenden zusätzlichen Mittel
dafür bekamen. Dies war Gegenstand einer großen Auseinandersetzung Anfang der
Neunzigerjahre, als Jospin unter Rocard Erziehungsminister war und kurz darauf
wie alle seine Vorgänger und Nachfolger kläglich aus dem Amt schied. |
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Die Regionen behalfen sich durch die Erhöhung der lokalen
Steuern, die sie sich mit den Städten und Departements teilen, und schraubten
somit die Steuerlast vieler Haushalte nach oben, ein Faktor des allgemeinen Verdrusses
und Gegenstand permanenter Debatten. Die Regierung Jospin hatte auch hier
eine grundlegende Reform in Aussicht gestellt, aber nicht in Angriff
genommen, so spielte sie wiederum den Ball ins Lager der Rechten. |
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Die neue Regierung Raffarin ist mit
Projekten auf allen Ebenen ins Rennen um die Parlamentswahl gegangen, die
größtenteils erst nach der Präsidentschaftswahl ausgearbeitet worden waren.
Es bleibt abzuwarten, ob sich die beschriebenen Determinanten der französischen
Politik tatsächlich ändern und ob die Sozialisten sich personell und
inhaltlich nach dem Schlag erholen können. Ohne eine Konzentration aller
Kräfte ist dies angesichts des Mehrheitswahlrechts jedoch unmöglich. Dies
hatte das traditionell weitaus mehr zersplitterte bürgerliche Lager voll
begriffen und nach einem jahrelangen internen Clinch unter der
Präsidentschaft Chiracs durch eine mächtige Einheitsformation zur letzten
Parlamentswahl unter Beweis gestellt. Der Konsens im jeweiligen Lager muss vor
der Wahl hergestellt werden, wer getrennt marschiert, wird nicht vereint
siegen, sondern vereint geschlagen. |
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Nachträge 2005, 2006, 2007...: Von einem Déjà vu zum anderen |
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2005. – Mit ihrem politischen
Repertoire und im Ansehen der Öffentlichkeit hat sich die Regierung Raffarin ebenso schnell verbraucht wie die meisten ihrer
Vorgängerinnen und in jedem Falle schneller als die unmittelbare Vorgängerin
unter dem Sozialisten Jospin. Der „starke Mann“ der Regierung, Nicolas Sarkozy, erst Innen- dann Finanzminister, hat sich aus
dem sinkenden Boot in Richtung Parteivorsitz verabschiedet und soll bei der
nächsten Präsidentschaftswahl 2007 als Kandidat der Rechten Chirac im Elysée nachfolgen. Wie seinerzeit Chirac selbst, so kann
auch Sarkozy dann seinen Präsidentschaftswahlkampf
quasi aus der Distanz zur bisherigen eigenen Regierung heraus betreiben. Bei
den letzten Regionalwahlen 2004 sind der Rechten jedoch sämtliche Regionen
bis auf das Elsass verloren gegangen, in einem bisher nicht dagewesenen
Erdrutsch sind überall die Sozialisten an die Spitze gelangt, und so stellt
sich dies verblüffend ähnlich wie die jetzige Situation in Deutschland dar –
mit dem Unterschied freilich, dass die Regionen in Frankreich nicht dasselbe
politische Gewicht wie in Deutschland haben, weil es auch kein dem Bundesrat
ähnliches föderales Gegengewicht zur Nationalversammlung gibt; gleichwohl
kann der Senat, in den Vertreter der lokalen und regionalen Mandatsträger
gewählt sind, schon bei Gesetzen mitbestimmen. Aber da die politischen
Wechselbäder so schnell auf einander folgen, bleibt meistens kaum die Zeit
für eine durchgreifende politische Umstrukturierung des Senats. So kann, anders als in früheren
Kohabitationszeiten, die jetzige Regierung weitermachen, gleichwohl ist Raffarin ein Regierungschef, der nur noch in der
Situation des „à bout de souffle“
aushalten muss bis zu den Wahlen 2007. Niemand rechnet mehr mit grundlegenden
Entscheidungen in der laufenden Amtszeit von Präsident und Parlament, Sarkozy baut seine Präsidentschaftskandidatur als Wechsel
im eigenen Lager auf, die Rechte kohabitiert
gewissermaßen mit sich selbst. Derweilen suchen die Sozialisten nach
einem geeigneten Präsidentschaftskandidaten. Was beide politischen Lager
inhaltlich anzubieten haben, bleibt vage. Raffarin
hat sich mit der Abschaffung des freien Pfingstmontags in ganz Frankreich in
singulärer Weise lächerlich gemacht. Ansonsten hat monatelang hat der Kampf
um die Volksabstimmung zur EU-Verfassung die innenpolitische Debatte
absorbiert, zuungunsten vor allem der Sozialisten, die durch die
Verfassungsgegner in den eigenen Reihen wesentlich stärker geschwächt werden
als es auf der Rechten der Fall ist. Für viele Linke inner- und außerhalb der
Sozialistischen Partei ist die Abstimmungsschlacht um Europa zum Alibi für
einen Richtungskampf in Frankreich geworden. |
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2006-2007. Auf dem
Weg zur Präsidentschaftswahl.– Nicolas Sarkozy konnte sich dem Wunsch des
Präsidenten Chirac, der neuen Regierung unter Premier de Villepin
als Innenminister anzugehören, nicht entziehen und hat es geschafft in dieser
Position sich gleichwohl als Kandidat für die Präsidentschaftswahl in der
Öffentlichkeit zu profilieren und innerhalb der eigenen Partei durchzusetzen.
Um die Präsidentschaftskandidatur
tobte bei den Sozialisten eine politischen Schlammschlacht mit öffentlichen
Beschimpfungen der Gegner zwischen alten Führungsmitgliedern der Partei und
der neuen aufstrebenden Kandidatin Ségolène Royal,
die es letztlich geschafft hat sich in einer Urabstimmung bei den Parteimitgliedern
durchzusetzen. Die Tatsache, dass sie damit die erste Frau als
Präsidentschaftskandidatin ist und in mehrfacher Weise eine ideale Gegnerin
des Kandidaten der Rechten, Sarkozy, hat hier
sicherlich geholfen, die von ihr meisterhaft inszenierte
Öffentlichkeitsarbeit und die Tatsache schon, dass sie gegen das
Parteiestablishment angetreten ist, taten ihr Übriges dazu. Ein wichtiger
Faktor dabei war ihre Ehe mit dem Parteivorsitzenden François Hollande, der
seinerseits während der Schlacht um die Europaverfassung zum Fokus heftiger
parteiinterner Auseinandersetzungen geworden war. Die Position des Parteivorsitzenden
der Sozialisten ist in den letzten Jahren zu der eines Generalsekretärs im
deutschen Sinne erodiert (der offizielle französische Titel heißt sogar so),
der zwischen den sich streitenden Parteiflügeln moderiert oder eher nur
laviert statt eine tatsächliche Führungsposition auszufüllen wie in
Deutschland. Ségolène Royal wird es schwer haben das eigene Lager bei der Wahl voll zu
mobilisieren und befindet sich damit in einer klassischen Problematik
sozialistischer Kandidaten. In etlichen Punkten hat sie sich bei der traditionellen
Klientel unbeliebt gemacht, so z.B. mit dem Vorschlag die Lehrer sollten
täglich von morgens bis abends an ihrem Arbeitsplatz Schule präsent sein.
Alleine das könnte sie um den Sieg bringen, denn die französische
Lehrerschaft ist von Alters her durch ihre Geschichte schon immer stark von
der Linken geprägt gewesen und auch eine der stärksten gewerkschaftlich
organisierten Bereiche Frankreichs. Kämpfe um die Bildungspolitik haben
regelmäßig Bildungsminister zum Rücktritt gezwungen und ganze Regierungen
gestürzt. So ist es alles andere als geschickt, sich vor der Wahl mit den
Lehrern anzulegen, zumal gar kein Bedarf dafür besteht: Es gibt ja bereits
eine funktionierende Ganztagsschule in Frankreich, ohne Stundenausfall. Die
Forderung nach erhöhter Präsenz kann logischerweise nur auf die Reduzierung
des Personals und die Erhöhung der Arbeitszeit abzielen – und das merken die
Betroffenen noch bevor dies überhaupt ausgesprochen wird. 4.2.2007 |
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Präsidentschaftswahl 2007: Alle sprechen vom changement |
Resultate und Analysen des 1. Wahlgangs bei Resultate und Analysen bei >>Le Monde Rückblick auf den Wahlkampf bei >>Le Monde |
Der Ausgang des ersten Wahlgangs der
Präsidentschaftswahl hat eine neue Überraschung beschert, die „Zentristen“
haben sich von ihrer Bindung an die Rechten gelöst und als starke Kraft der
Mitte etabliert mit 18% Stimmen für deren Präsidentschaftskandidaten François
Bayrou, der hinter Nicolas Sarkozy
(31%) und Ségolène Royal (26%) auf den dritten
Platz, aber damit nicht in die Endausscheidung gekommen ist. Die Kampagne des
„vote utile“ gegen die
Verschwendung der Stimmen an Splitterkandidaten hat rechtsaußen
Le Pen auf 10% reduziert, da viele seinerAnhänger
gleich Sarkozy gewählt haben, der als Innenminister
stark nationale, stellenweise sogar nationalistische law and order Politik vertreten hat und damit in den Wahlkampf
gezogen ist. Auf der Linken wurden die Kritiker der Sozialisten wieder auf
ihre Splittergrößen reduziert, man hat etwas aus der letzten Wahl vor 5
Jahren gelernt, aber zusammen genommen ergeben sich daraus immer noch an die
10% Wähler, die die sozialistische Kandidatin für den 2. Wahlgang braucht.
Die starke Polarisierung sozial (Ségolène Royal) gegen national
(Nicolas Sarkozy) dürfte dazu beitragen, dass sich
die Lager im 2. Wahlgang einigermaßen zusammenfinden. Der Kampf für ihre Kandiatur innerhalb der Sozialistischen Partei hat Ségolène Royal mehr Kraft gekostet, aber auch mehr
Sympathien eingebracht, als dann die Konfrontation mit Sarkozy
im Wahlkampf, in den sie schon ermüdet eintrat, Fehler in ihrem Auftreten und
Führungsstil machte und Zug um Zug in den Umfragen nachließ. Aus ihrem
Vorteil als erste weibliche Kandidatin fürs Präsidentenamt machte sie in den
Augen auch vieler Sympathisant/inn/en eine zu
penetrant feministische Haltung. Alles hängt also diesmal von der Mitte
ab, zum ersten Mal in dieser Form seit Bestehen der V. Republik, denn die
Zentristen, aus der französischen Variante der Christdemokratie
hervorgegangen, waren Daueralliierte der Gaullisten gewesen, 1978 unter
Giscard d’Estaing immerhin aus
Splittergruppierungen zu einer „Union“ (UDF) zusammengefasst, bis der Versuch
einer Vereinnahmung in einer gemeinsamen Rechtspartei vor einigen Jahren zur
Spaltung des Zentrums geführt hat, dessen widerspenstiger Teil unter François
Bayrou nun auf einmal den größten Wahlerfolg in der
Geschichte dieser politischen Strömung seit 1958 eingefahren hat. Alles hängt
nun davon ab, wie sich die Bayrou-Wähler im 2.
Wahlgang entscheiden. Die unerwartete Stärke des Zentrums ist freilich auch
sein Dilemma: Umfragen zufolge ist die Wählerklientel in zwei Hälften
gespalten, die sich im 2. Wahlgang dann jeweils für Sarkozy
und Royal aufteilen könnte. Das könnte Sarkozy auch
zur Mehrheit reichen, doch angesichts dessen, dass wie vor dem 1. Wahlgang
die Zahl der Unentschiedenen bei diesen Umfragen sehr hoch ist, bleibt auch
hier noch eine Überraschung möglich. Interessant ist gegenüber dem Paradigma der Unzufriedenheit des
Wahlvolks mit seinen Regierungen, dass entsprechend sämtliche Kandidaten
ihren Wahlkampf mit dem Argument des Wechsels geführt haben. Changer, changement,
kam in jeder Rede. Bei der sozialistischen Opposition keine Überraschung und
bei den Zentristen in der Tat ein bereits eingelöstes Versprechen, da die
Etablierung der neuen Mitte sich mit Sicherheit auf die nach der
Präsidentschaftswahl folgende Parlamentswahl auswirken wird. Aber auch Sarkozy, der jahrelang selbst in der Regierung saß, hat
es geschickt verstanden sich von einer Regierungspolitik zu distanzieren, die
er nicht angeführt hat. Als Innenminister realisierte er seine eigene
Politik, so gut es ging, und schien nur der Form halber Mitglied der
Regierung zu sein. Das reichte offenbar aus, ihn als „verhinderten
Ministerpräsidenten“ dastehen zu lassen, den man nicht machen lässt, was er
will, und entsprechend glaubhaft für seine Wählerklientel mit der Parole des changement in
den Wahlkampf zu gehen. Für Frankreich fast normale Verhältnisse, der
Unterschied zu Deutschland wird deutlich, wenn man den Vergleich zieht, dass
alle existierenden Regierungen hierzulande in den Wahlkampf mit der Parole
„Weiter so!“ gehen. Das könnte sich in Frankreich niemand erlauben und so tut
es auch keiner. 25.4.2007 Das Fernsehduell zwischen Ségolène
Royal und Nicolas Sarkozy war eine Kaskade von
Wahlversprechen. Abwechselnd leerten die beiden ihre Füllhörner im Stakkato:
soziale Versprechen von Ségolène, Steuersenkungen
von Nicolas. Milliardensummen wurden im Minutentakt verschleudert: „Ich werde
sofort folgendes anordnen...“ Alles wird neu und besser. So vermochte auch Sarkozy sich als Erneuerer zu präsentieren, das bisherige
Frankreich, das er fünf Jahre lang mit regiert hatte, als am Abgrund
befindlich darzustellen und sich am Wahlabend als Retter der Nation feiern zu
lassen. Das ist französische Tradition: Jede Wahl auf höchster Ebene muss wie
eine Revolution aussehen! Bezeichnend für die Stimmung im Fan–Volk war am
Wahlabend auch die kleine Befragung jugendlicher Anhänger Sakorzys
durch das französische Fernsehen, was denn jetzt ihrer Ansicht nach in
Frankreich geschehen werde und sie absolut nichts dazu sagen konnten. Die
Stimmung erinnerte stark an eine Fußball-Weltmeisterschaft: Hauptsache, das
Match ist gewonnen. „On a gagné! On a gagné!“ Inhaltlich deutlicher waren die Befürchtungen auf
Seiten der Sarkozy-Gegner, sie wussten klarer,
warum sie gegen ihn und für Ségolène Royal waren.
Doch dies reichte eben nicht für sie. Im 2. Wahlgang war die Geschlossenheit
des Wählerlagers rechts von der Mitte größer als links von der Mitte. Und
einer der Gründe dafür zeigte sich denn auch noch einmal post festum in der Wahlnacht, als wieder einmal hunderte von Autos
in der banlieue
in Brand gesetzt wurden. Es war die racaille nach Sarkozys Wortwahl
– der Abschaum oder das Gesindel (je nach Übersetzung ins Deutsche) –, die
ihren Anteil am Sieg Sarkozys hat, weil sie es
schaffte, dass sich das rechte und rechtsradikale Lager, alle, die nach einem
strengen Durchgreifen rufen, geschlossen hinter Sarkozy
versammelt hat, während Le Pen und Chirac vor fünf Jahren noch im 2. Wahlgang
gegeneinander gestanden hatten. Es nützt nichts für die Linke, die sozialen
Probleme der banlieue
zu betonen, wenn sich dort die Gewalt einen rechtsfreien Raum erobern kann. Die Mitte, die im 1. Wahlgang François Bayrou gewählt hatte, spaltete sich ungefähr zu gleichen
Teilen auf Sarkozy und Royal auf, 15 % davon gingen
im 2. Wahlgang nicht wählen. Da wird aus der Stärke Bayrous,
der noch am Wahlabend die Neuformierung seiner Partei unter dem Namen Mouvement démocratique bekannt
gab, ein Dilemma für die in vier Wochen anstehende Parlamentswahl: Angesichts
des existierenden Mehrheitswahlrechts wird es nahezu unmöglich sein, eine
dritte Position zu wahren und sich nicht mit der einen oder anderen Richtung
zu verbinden. Bisher waren die Zentristen immer Teil der Rechten, zum ersten
Mal könnte dies nun aufgelöst werden und mit der Linken hätten Bayrou und seine Freunde sicher mehr Einfluss als mit
einer Rechten in Siegerpose, die keine großen Zugeständnisse zu machen
braucht. Aber machen das die Wähler des Mouvement démocratique mit? Auch bei den
Sozialisten wird es einen neuen Richtungskampf um eine Öffnung zur Mitte hin
oder um eine Neuformierung des linken Lagers geben, das wurde bereits am
Wahlabend durch Dominique Strauss-Kahn, einem Verfechter der
Sozialdemokratie, schon eingeläutet. Dass es das alte linke Lager gar nicht
mehr gibt bzw. es keine Chancen auf Mehrheiten mehr hat, zeigt die vergangene
Wahl, aber die Einsichtsfähigkeit auf der Linken wird diesbezüglich sicher
beschränkt sein. Die Frage eines Zusammengehens mit Bayrou
und den dafür nötigen Kompromissen könnte die Sozialistische Partei in eine
Spaltung treiben. Eins bleibt daher auch ein Erfolg Sarkozys in seinem Lager: er hat die traditionellen
Klüngel und Gruppenkämpfe innerhalb der Rechten überwunden. Wird es dabei
bleiben? Jetzt werden wohl erst mal alle diejenigen, die ihm den Weg an die
Spitze der neuformierten Partei UMP und die Präsidentschaftskandidatur frei
gemacht haben, mit Posten belohnt werden müssen... 7.5.2007 |
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Une
campagne peut en cacher une autre... Nach der Wahl ist vor der Wahl… Als ein bis dahin unübertroffenes
Phänomen von Opportunismus wird die politische Konversion des Bernard Kouchner in die politische und Mediengeschichte eingehen.
Bis zum Abend des 2. Wahlgangs machte der Begründer von Médecins sans frontières,
der in die PS 1988 eingetreten ist, als er Minister wurde, Campagne für Ségolène Royal, dann hat ihn am Wahlabend im Fernsehen
vor den Augen aller Zuschauer die Siegesrede von Nicolas Sarkozy
ergriffen. Das Pathos an diesem Abend und in den folgenden Tagen war in der Tat
beeindruckend... aber wen in Frankreich beeindruckt das noch? Jedenfalls
einen Bernard Kouchner. Zumal der neue Präsident
ankündigte in seine Regierung auch Persönlichkeiten der Linken aufzunehmen.
Da war Philippe Besson, der die Sozialisten immerhin schon während des
Wahlkampfes verlassen hatte, aber der Scoop ist gewiss Kouchner
als neuer Außenminister Frankreichs. Herzlichen Glückwunsch! Sein Motto: Mir
ist es egal, in welcher Regierung ich Minister werde. Sarkozy und seine Berater sind in der Tat klug genug um zu wissen, dass sie
bei den anstehenden Parlamentswahlen nicht wieder nahezu 100% der Wähler der
extremen Rechten im 2. Wahlgang bekommen werden, und mit Kouchner
als Minister schon gar nicht. So lautet die Strategie: Mit den
rechtsradikalen Wählern die Präsidentschaft gewinnen, mit den liberalen das
Parlament. Die Öffnung zur Mitte hin, ja sogar nach links von der Mitte, soll
die Bildung einer neuen Mitte unter Bayrou
verunmöglichen und dessen Wähler herüberziehen. François Bayrou
hat in der Tat ein Problem: Auch aus seinen Kreisen sind noch einmal Leute zu
Sarkozy abgewandert. Das Wahlrecht der
Parlamentswahlen erfordert aber Arrangements auf der Rechten und der Linken
für den 2. Wahlgang. Diese Arrangements sehen vor, dass sich der jeweils schlechter
platzierte Kandidat zugunsten des besseren zurückzieht. Auf der Rechten wird
es das mit dem Front National nicht geben, daher die vorauszusehenden
Stimmenverluste für das Sarkozy-Lager. Und auf der
anderen Seite? Wohin wird sich Bayrou, wohin kann
er seine neue Formation und seine neu gewonnenen Wähler orientieren? Das
Dilemma der Institutionen Einmal mehr zeigt sich, wie die
polit-technokratischen Institutionen Frankreichs die lebendige Demokratie
knebeln. Die Angleichung der Präsidentschaft an die Legislaturperiode von 5
Jahren sollte die immer wieder notwendigen Kohabitationen von Präsidenten und
Parlamentsmehrheiten verschiedener Couleur überflüssig machen. Tatsächlich
waren die Parlamentswahlen während der laufenden Amtsperiode eines Präsidenten
stets Protestwahlen zugunsten der Opposition. Jetzt läuft die zeitliche
Verknüpfung beider Wahlen mit der Priorität für die Präsidentschaftswahl
darauf hinaus, dass die anschließenden Parlamentswahlen nur noch eine
Gefälligkeitswahl für den neuen Präsidenten darstellen um ihm die Mehrheit
für seine Regierung zu sichern. Wer sollte und wollte sich denn innerhalb von
vier Wochen politisch umorientieren? Was hätte das auch für einen Sinn...?
Wären da nicht die politischen Taktiken und Arrangements. Die Linke steht
heute besser da als vor fünf Jahren, aber entschieden wird es, wie schon
gesagt, in der Mitte. 20.5.2007 |
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Nachtrag zur Parlamentswahl: Die Neuwahl der Nationalversammlung
hat der neuen majorité présidentielle
auch dort ihre Mehrheit gesichert, allerdings längst nicht so komfortabel wie
erhofft. Die Linke hat einen Achtungserfolg erzielt, ihr angesichts der
politischen Gesamtlage erreichbares Maximum an Stimmen ausgeschöpft und sogar
in einigen Wahlkreisen Überraschungserfolge erzielt. So musste Alain Juppé,
Bürgermeister von Bordeaux und ehemaliger Premierminister, vorgesehen für
einen herausragenden Posten als N°2 in der neuen Regierung von François Fillon, eine Niederlage bei der Erringung seines
Parlamentssitzes einstecken und nach dem von Sarkozy
angeordneten Reglement – die Minister mussten sich in den Wahlkreisen den
Wählern stellen und gewinnen - seinen Platz in der Regierung wieder räumen. Verlierer der Parlamentswahl ist die
liberale Mitte um François Bayrou. Das Wahlrecht
hat seine potenziellen 18% auf drei Abgeordnetenstühle für seine neue Partei
schrumpfen lassen, darunter er selbst. Es ist zu befürchten, dass er und
seine Partei zukünftig in den Medien faktisch boykottiert werden. |
Last update: 16.11.2007 |
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Wolfgang Geiger |