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Die Ermüdung der Demokratie geht weiter… Nachträge zu meinen Büchern Die Ermüdung der Demokratie. Frankreich, Deutschland und Europa in
der Krise (2017) sowie Weimar Bonn
Berlin. Lehren aus der Geschichte (2019) aufgrund der aktuellen
Entwicklung. |
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Die Ermüdung der Demokratie
Wolfgang Geiger |
Weimar Bonn Berlin
Wolfgang Geiger |
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Die Einträge erfolgen
chronologisch rückläufig (das Neueste zuoberst) im Sinne eines Blog |
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Übersicht |
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12.2.2020 |
Untergang
auf Äquidistanz. Schockwellen aus Thüringen |
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11.2.2020 |
>> Lichtblick aus Österreich und Italien: Die
Rechtspopulisten scheiden aus der Regierung aus |
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11.2.2020 |
>> Rückblick auf die Europawahl 2019 |
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1.5.2019 |
>> Rechtsextreme in der neuen Regierung Estlands. Nach
rechts alles offen? |
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27.4.2019 |
>> „Die Finnen“ in Finnland nach der Wahl. Wie die Bekämpfung des Rechtspopulismus
misslingt |
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Weiteres folgt… |
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12.2.2020 |
Untergang
auf Äquidistanz. Schockwellen aus
Thüringen Am 5.2.2020 wurde in Thüringen der FDP-Fraktionsvorsitzende Thomas Kemmerich im 3.
Wahlgang mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD zum
Ministerpräsidenten gewählt. Eine ebenso fatale wie sinnlose Wahl, da aus
dieser Abstimmung keine neue Regierungsmehrheit mit der AfD
hevorgehen konnte, aber FDP, CDU und AfD hatten eines gemeinsam: Sie wollten die Wiederwahl
Bodo Ramelows und damit eine vorläufige Fortsetzung
der rot-rot-grünen Koalition als Minderheitsregierung verhindern. Die AfD sprach dies klar aus, FDP und CDU sprachen von einem
„bürgerlichen Kandidaten“, der als Alternative aufgestellt werden sollte.
Wäre dies ernst gemeint gewesen, hätten sie dies gleich im ersten Wahlgang
tun können. Da aber die AfD einen eigenen
Kandidaten präsentierte, musste man bis zum dritten Wahlgang warten, um die
eine relative Mehrheit für Bodo Ramelow zu verhindern durch den Deal mit der AfD. Dass es Absprachen in diesem Sinne gab, lassen die
Ungereimtheiten der öffentlichen Erklärungen von Seiten der FDP und CDU
vermuten, dass es so war, da sind sich zahlreiche journalistische Beobachter
aufgrund von deutlichen Indizien einig.
Dass es dazu
kam, ist jedoch nicht nur ein regionales „Ost-Problem“, sondern auch eines der
beiden Parteiführungen von FDP und CDU in Berlin. Bei dem Wahlausgang Linke
31%, SPD 8,2%, Grüne 5,2% = 44,4% / CDU 21,7%, FDP 5% = 26,9% / AfD 23,4% kann es keine Mehrheit ohne Linke oder AfD geben, die gezwungene Entschuldigung nach der Wahl Kemmerichs, man setzte darauf, dass SPD und Grüne zur
bürgerlichen Mitte stießen, ist so offensichtlich dumm-dreist wie aus der Not
geboren: Auch dieses Bündnis, für das es nicht die geringste Chance gab und gibt, hätte keine Mehrheit (=40,3%) und
wäre, immer noch rein theoretisch, auf die Duldung durch AfD
oder Linke angewiesen. Letzteres würde aber nie erfolgen. Dabei hatte Mike
Mohring, der Thüringer Partei- und
Fraktionsvorsitzende der CDU nach der Landtagswahl am 27.10.2019 dafür
plädiert, die Koalition unter Ramelow als Minderheitsregierung bedingt zu
tolerieren, was hieß, Projekte zu unterstützen, die man inhaltlich
akzeptieren konnte. Dann hätte diese Situation vermutlich bis zur nächsten
Haushaltsdebatte gedauert, bei der es nicht mehr um ein bedingtes, sondern um
ein grundsätzlich ja oder nein gegangen wäre, und der Landtag hätte dann
Neuwahlen ausschreiben können. Aber Mohring wurde
sofort von der CDU-Führung in Berlin, Kramp-Karrenbauer und Merkel,
zurückgerufen. Außerdem gibt es einen starken Flügel in seiner Landespartei,
die auf eine Öffnung nach rechts hin arbeitet. Diesen aber in Schach zu
halten mit einer Alternative, die ihm von oben her verboten wurde, war schon
der erste politische Genickschlag für ihn. Der zweite, dass er dann das
Gegenteil, die Wahl Kemmerichs mit den AfD-Stimmen vertreten musste, und der dritte kam in der
Krisensitzung der Fraktion am Donnerstag zusammen mit Anngret
Kramp-Karrenbauer, was ihn dann den Fraktionsvorsitz kostete. Die Details
kennen wir nicht, aber vermuten darf man: Nach einer stundenlangen Debatte
mit AKK in der Fraktion kam das Aus für ihn, weil er wohl dafür war, ebenso
wie AKK, nach dem angekündigten Rücktritt von Kemmerich und der Empörung, die
durch die Medien tobte, schleunigst die Neuwahl des Landtag anzusteuern um
das wieder gutzumachen, wenn es denn überhaupt gutzumachen war, die Fraktion
sich aber dagegen entschied. Das war wohl
auch der ausschlaggebende Moment für die dann einige Tage später verkündete
Entscheidung Annegret Kramp-Karrenbauers, sich von der Parteispitze
zurückzuziehen. Die Thüringer Landtagsfraktion hatte ihre Warnung vor der
Wahl Kemmerichs in den Wind geschlagen und sich
dann auch ostentativ gegen die Bundesvorsitzende gestellt, die notwendige
Konsequenz aus der politischen Katastrophe zu ziehen. Wen wundert’s: Wer
möchte gerne sein Landtagsmandat verlieren bei einer Neuwahl, bei der die CDU
nur weiter massiv einbrechen kann? Erst den Schaden verursachen und dann die
Scherben nicht wegräumen… Der
Autoritätsverlust von AKK aber war massiv, wurde ihr jeden Tag von den Medien
vorgehalten, konkret auf diese Causa bezogen jedoch zu Unrecht. Das Problem
hätte auch jeden anderen Vorsitzenden so getroffen. Aber sie würde in dieser
Partei, in der sie nur knapp die Mehrheit für den Parteivorsitz gewonnen
hatte, nicht die Kanzlerkandidatur bekommen, wäre damit auch als
Parteivorsitzende desavouiert und müsste den Parteivorsitz an den dann
gewählten Kanzlerkandidaten abgeben. Dem kam sie dann lieber zuvor. Dabei war sie
aber mitschuldig an der Situation, die zur Wahl Kemmerichs
geführt hattte, selbst wenn sie die CDU-Fraktion
davor warnte. Die Losung von der Äquistanz zur AfD und zur Linken hieß nicht anderes, als jede
vernünftige Entwicklung im thüringischen Landtag zu blockieren, es war eine Losung ohne Lösung. Doch, wie Cem Özdemir in der Talkshow
bei Anne Will zu Recht sagte: Die CDU hält die Äquistanz
so krampfhaft hoch, weil das Kooperationsverbot mit der AfD
für den rechten Flügel, der damit nicht einverstanden ist, nur damit erkauft
werden kann, dass es gleichzeitig ein Kooperationsverbot mit der Linken gibt.
Diese Äquidistanz ist jedoch bei der Wahl Kemmerichs nach rechts aufgegeben worden, nicht nach
links, und zwar nicht nur vom rechten Flügel, sondern von der ganzen
Fraktion. Die Äquidistanz ist Ausdruck einer Weimarisierung der
Republik, weil die beiden stärker werdenden Ränder die politische Mitte
erdrücken, so jedenfalls jetzt in Thüringen, wo die Linke aufgrund der
Popularität ihres Ministerpräsidenten zugelegt hat, während sie sonst überall
verliert. Waren in der Weimarer Republik aber sowohl KPF wie NSDAP
antidemokratisch, so kann man dies für die Linke heute nicht analog
feststellen. Gewiss, man muss sie ja nicht mögen und man kann sich durchaus
fragen, angesichts der offen bekundeten Sympathie eines erheblichen Teils der
Linken für das Regime von Maduro in Venezuela - von
Kuba ganz zu schweigen -, was wohl passieren würde, hätte die Linke
tatsächlich einmal die Macht in der Bundesrepublik. Aber das droht nicht und
soweit sie an Regierungen auf Landesebene beteiligt ist oder sogar führt wie
in Thüringen, ist sie in das demokratische System integriert, während die AfD und auch die Werte-Union glauben, dass sie in
Wirklichkeit in einer gegen sie gerichteten Diktatur mit Medien- und Meinungszensur
leben. Wäre die CDU dem
Vorschlag Mohrings zur bedingten Tolerierung der
Minderheitsregierung Ramelow gefolgt, wäre der politische Schaden begrenzt
gewesen, eine später folgende Neuwahl nicht unter einem so schlechten Stern
gestanden wie jetzt, wo man sie auf Teufel komm raus verhindern will. Das Drama ist
noch lange nicht zu Ende… Die Frage Wie
geht’s weiter? hat jetzt von Thüringen aus erst mal die Bundespartei
ergriffen. |
Cf. z.B. „Der eingefädelte Tabubruch von Erfurt“ >>tagespspiegel Venezuela-Solidaritätsaktion >>tagesspiegel / >>die
welt |
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11.2-2020 |
Lichtblick aus Österreich und Italien: Die Rechtspopulisten scheiden aus der
Regierung aus Nachdem Kanzler
Kurz in Österreich, um ohne Große Koalition mit der SPÖ an der Macht
zu bleiben, eine Koalition mit der FPÖ besiegelt hatte und ihnen dabei beide
sicherheitspolitisch relevanten Ministerien Inneres, Äußeres und Verteidigung
zugestanden hatte. Dies führte zum Versuch einer politischen Einflussnahme
auf die Geheimdienste durch die FPÖ und auch rief gleich zu Beginn die Kritik
der deutschen Bundeskanzlerin hervor sowie den Boykott des österreichischen
durch die anderen europäischen Geheimdienste, da Innenminister Kickl als der rechtsextremen Szene nahestehend
galt. Mit der dem
FPÖ-Vizekanzler Christian Strache gestellten Falle
auf Ibiza, wo er insgeheim dabei gefilmt wurde, wie er einer vermeintlichen
Nichte eines russischen Oligarchen Einfluss auf österreichische Medien
(Kronen-Zeitung) gegen eine geheime Finanzierung der FPÖ Im bevorstehenden
Wahlkampf versprach. Die Veröffentlichung im Mai 2019 führte zum Bruch des
Regierungsbündnisses und nach Übergangsphase zur Neuwahl des Parlaments am
29.9.2019. Strache musste auch seine Parteiämter
niederlegen und wurde im Dezember aus der FPÖ ausgeschlossen. Wichtig für den
ganzen Ablauf war auch das gelungene Krisenmanagement durch Bundeskanzler Van
der Bellen, einem ehemaligen Grünen, der Kurz für die Übergangsphase die Kanzlerschaft
entriss und eine Regierung auch Fachleuten ernannte. Bei der Neuwahl
des Parlaments konnte die ÖVP unter Sebastian Kurz ihre Spitzenposition auf
37,.46% ausbauen (+5,96), die FPÖ verlor ein Drittel ihrer Stimmen (-9,80 auf
16,17%), während die Grünen einen sensationellen Erfolg erzielten (+10,10 auf
13,90%). Dies eröffnete Sebastian Kurz eine neue Koalitionsmöglichkeit und
überwand damit das alte Dilemma, wieder eine Große Koalition eingehen zu
müssen, und so bildeten ÖVP und Grüne, die sich in Österreich nie wirklich
etablieren konnten und von den Establishmentparteien
abgelehnt wurden, Anfang Januar 2020 eine neue Regierungskoalition. In Italien
zerbrach am 5.9.2019 die Regierung aus Links- und Rechtspopulisten, Cinquestelle unter di Maio (32,68% bei der Parlamentswahl
2018) und Lega unter Salvini (17,34%), am offenen
Machtanspruch des Lega-Führers Salvini, der sich
gerne und ganz offen von seinen Anhängern als „capitano“
titulieren lässt, die am 1.6.2918 unter dem unabhängigen, den 5 Sterne
nahestehenden Ministerpräsidenten Conte gebildet worden und damit noch nicht
einmal anderthalb Jahre im Amt gewesen war. Innere Konflikte in der Regierung
brachten Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini
nach dem Höhenflug seiner Partei bei der Europawahl und in den Umfragen dazu,
eine Neuwahl des Parlaments provozieren zu wollen in der Hoffnung, dann auf
eine absolute Mehrheit zusteuern oder zuminsest das
Verhältnis zwischen beiden Koalitionspartnern umkehrern
zu können. Luigi di Maio verhindete dies jedoch
durch eine neue Koalition mit den Sozialdemokraten (Partito
Democratico, 16,74%)), die als frühere
Regierungspartei der Hauptgegner der Fünfsterne gewesen waren. Die seit dem
5.9.2019 unter dem gleichen Ministerpräsidenten amtierende neue Regierung. In beiden Fällen
zeigt sich, dass der Siegeszug des Rechtspopulismus nicht unaufhaltbar und
eine Einbindung in die Regierung ein Fehler ist, vielleicht aber auch ein
heilsamer. In Italien ist dabei aber noch nicht das letzte Wort gesprochen,
auch die neue Koalition steht von Anfang an unter starker Spannung, ständigem
Streit und fast unlösbaren finanz- und
wirtschaftspolitischen Problemen. Einen Koalitionsvertrag haben die beiden
Partner bislang noch nicht zustandegebracht.
Immerhin zeigten die Wahlen in einigen Regionen Italiens im Januar 2020, dass
die Lega ihr Ziel, die traditionell linke Emilia-Romagna zu erobern,
gescheitert ist und dort die alte Linke wieder im Rahmen eines
Mitte-Links-Bündnisses Auftrieb bekam. Entscheidend dabei dürfte eine neue
Bürgerbewegung gegen die Lega gewesen sein, die „Sardinen-Bewegung“. Auf der
anderen Seite stürze die Fünfsternebewegung dort in die Bedeutungslosigkeit
ab (3,5%), was in ihren Reihen die Frage aufwerfen dürfte, ob es für sie
vorteilhaft war, mit den Sozialdemokraten in Rom die neue Koalition
einzugehen. |
Geheimndienste >>Die
Presse / >>taz Herbert Kickl >>Wikipedia Ibiza-Affäre >>Wikipedia Fast 100 Tage italienischer Streit >>Tagesschau Regionalwahlen >>Tagesschau |
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11.2-2020 |
Rückblick
auf die Europawahl 2019 Vom 23.-26. Mai
2019 fand die erste Europawahl nach dem Rechtsruck 2014 statt. DA die Briten
erst noch einmal mitwählen durften und dann Ende Januar
2020 doch aus der EU und damit dem Europaparlament wieder ausgeschieden sind,
ist der direkte Vergleich mit den Wahlergebnissen 2014 schwierig. Mit dem Brexit ist nicht nur ein Land ausgeschieden, das die
Westeuropäer gerne weiterhin dabei gehabt hätten, im Parlament schied damit
jedoch eine starke Fraktion von Euroskeptikern und Europagegnern aus. Noch
bei der Verabschiedung rief Nigel Farage andere
Länder wie Polen auf es Großbritannien gleich zu tun. Bei der Wahl
2019 erlitten die Fraktionen der Christdemokraten und Konservativen sowie der
Sozialdemokraten Verluste (-34 / -30), Erstere verloren knapp ein Sechstel,
Letztere etwas mehr als ein Fünftel ihrer Sitze, beiden blieben aber die
stärksten Fraktionen (182 / 154 Sitze). Erheblich hinzugewinnen konnten
dagegen die Liberalen und Zentristen (+39 auf 108) sowie Grüne und
Regionalisten (+23 auf 75), gerade für Letztere bedeutete das einen
Vermehrung der Mandate um fast 50%. Damit die großen Fraktionen des
proeuropäischen Lagers nur ganz leicht verloren (-2), wobei die Partei des
ungarischen Ministerpräsidenten Orbán (13 Seitze) noch zur EVP mitgezählt wurde. Nationalisten und
Rechtspopulisten sowie Konservative EU-Skeptiker erhielten unter dem Strich
einen Auftrieb von 24 Mandaten, wobei Erstere gegenüber Letzteren zulegten
(+37 auf 73 / -11 auf 41). Linke und Linkssozialisten, die größtenteils auch
zu den Euroskeptikern gerechnet werden können, verloren dagegen ca. ein Viertel (-11 auf 41). Die
Zahl der franktionslosen Kleingruppierung nahm um
+36 auf 56 zu, auch hier sind viele Euroskeptiker auszumachen. Insgesamt sind
weiterhin ca. ein Viertel bis ein Drittel der Abgeordneten als euroskeptisch
oder europafeindlich einzuordnen und die Wahl der neuen Kommission konnte nur
durch ein breites Parteienbündnis von Christkonservativen bis Liberalen
erfolgen. Die nach dem
Verhältniswahlrecht erfolgte Wahl in Frankreich - während die nationalen
Wahlen nach dem Mehrheitswahlrecht laufen - brachte die Partei von Marine Le
Pen, das Rassemblement National, mit 23,34% auf den
ersten Platz, vor der Partei des Präsidenten Macron,
La République en marche,
mit 22,42%, die Grünen schnitten mit 13,43% außergewöhnoich
gut ab. Die linken Antieuropäer von Mélenchon (La
France insoumise) brachten nur 6,31%, da diese
Wählerklientel offenbar wenig Interesse an der Europawahl hatte, die alten
Parteien der konservativen Rechten (Les Républicains)
und die Sozialisten, beide seit den Nationalwahlen (Präsidentschaft und
Parlament) 2017 existenziell geschwächt, erreichten nur 8,43 und 6,19%.
Zusammen mit Kleingruppierungen blieben die Antieuropäer rechts und links
noch bei ca. einem Drittel der Stimmen. Drastischer fiel
der antieuropäische Impetus dagegen in Italien aus. Die Lega erreichte dort
alleine 34,33% durch einen Zugewinn von 28,18%, auch zu Lasten der Forza
Italia von Ex-Ministerpräsident Berlusconi (8,7)5 bei -12,40%), während die
Ex-Neofaschisten Fratelli d’Italia
2,78% dazugewinnen konnten auf 6,48%. Die proeuropäische Linke (Partito Democratico) sank
dagegen um 18,12% auf 22,69%. Die Fünf-Sterne-Bewegung, die zu den
Euroskeptikern gerechnet werden muss, erreichte 17,07% (Verlust von -4,09). Europaskritische oder -feindliche Rechts- und
Linkspopulisten zusammengenommen erzielten damit ca. 60%, mit Forza Italia
zusammen sogar fast zwei Drittel der Stimmen. Angesichts seiner kritischen
Finanz- und Wirtschaftslage bleibt
Italien auch nach dem Ausscheiden der Lega aus der Regierung nach wie vor das
Hauptproblem in Europa. |
Cf. Wikipedia |
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1.5.2019 |
Rechtsextreme
in der neuen Regierung Estlands. Nach rechts
alles offen? Bei der Neuwahl
des estnischen Parlaments am 3.3.2019 konnte die dortige rechtsextreme Partei
EKRE (Estnische Konservative Volkspartei) ihren
Stimmenanteil auf 17,8% erhöhen und damit mehr als verdoppeln (+9,7)
gegenüber der letzten Wahl. Diese Partei steht noch ein gutes Stück weiter
rechts als ihr finnisches Pendant nach ihrem Rechtsruck (siehe unten). Neben
ihr ist auch noch die rechtskonservative Isamaa („Vaterland“) mit 11,4%
(-2,3) im estnischen Parlament vertreten, die im Europaparlament der EVP
angehört und an früheren Regierungskoalitionen beteiligt war, jedoch bei den
letzten Wahlen wie auch bei dieser wohl v.a. an die Radikalen rechts von ihr
Stimmen verloren hat. Nachdem eine
Neuauflage der alten großen Koalition aus Zentrumspartei, Vaterland und
Sozialdemokraten aufgrund der Stimmenverluste bei allen Koalitionären nicht
mehr möglich war, galt lange die stärkste Fraktion, die liberale Reformpartei (28,9%) mit ihrer jungen
Vorsitzenden Kaja Kallas, als Favoritin für die Bildung einer Regierung, doch
die mögliche Koalition mit der Zentrumspartei kam nicht zustande. Die
Zentrumspartei gilt im politischen Koordinatensystem Estlands durch ihre
sozialpolitischen Positionen als Mitte-Links-Partei, verlor aber ihren linken
Flügel an die Sozialdemokraten. In der Frage des Beitritts zur EU war die
Partei 2003 gespalten, eine relative Mehrheit sprach sich dagegen aus. Im
EU-Parlament wurde ihr Vertreter nach mehrfachen Anläufen in die Fraktion der
Liberalen und Demokraten aufgenommen. In Estland selbst wird die Partei stark
auch von der russischsprachigen Minderheit gewählt. Zur
„natürlichen“ Koalition zwischen Reform- und Zentrumspartei kam es offiziell
nicht wegen programmatischen Unterschieden, die vergleichsweise gering
erscheinen, nachdem früher schon weitere Bögen von Sozialdemokraten bis zur
Vaterlandspartei geschlagen worden waren. So wollte die Zentrumspartei schon
in der letzten Legislaturperiode, als sie durch ein Misstrauensvotum die von
der Reformpartei geführte Koalition stürzte. den einheitlichen Steuersatz von
20% langsam durch eine Steuerprogression ersetzen, das ist ihr „linkes“
sozialpolitisches Profil. Entscheidend war aber wohl, dass die Zentrumspartei
und Ministerpräsident Jüri Ratas
persönlich die Führung nicht abgeben wollte und sich deswegen für ein Bündnis
mit EKRE und Isamaa
entschied, obwohl Ratas und das Zentrum, wie auch
die Isamaa
und alle anderen Parteien, zuvor eine Koalition mit ihr ausgeschlossen
hatten. Und das aus gutem Grund, doch die Macht ist offenbar wichtiger. Die EKRE ist
nicht nur eine rechtspopulistische Partei - „es geht um Faschismus, nicht um
Populismus“, schreibt Markus Schubert auf dem liberalen Portal LibMod. Der Protestschrei gegen die Regierungsbeteiligung
der EKRE in Estland und Europa war groß, aber bislang folgenlos. Die Partei
lässt ihre Veranstaltungen durch die Soldiers of Odin (SOO) bewachen (cf. den in Talinn lebenden Politikwissenschaftler Florian Hartleb), einer SA-ähnlichen „Bürgerwehr“, die, 2015 in
Finnland gegründet, sich in den skandinavischen Ländern verbreitet und auch
nach Estland gekommen ist. Die Straßenpatrouillen der SOO, die die Einwohner
vor Migranten beschützen sollen, wurden vom letzten finnischen
Ministerpräsidenten Sipilä bagatellisiert, haben
aber in der Bevölkerung wohl weitgehend erst die Ängste erzeugt, mit der die
SOO ihre Aktion rechtfertigen (vgl. taz vom 18.1.2016). Die EKRE mit
ihrem Vorsitzenden Mart Helme, jetzt Innenminister, und seinem Sohn Martin
Helme, jetzt Finanzminister, vertritt nicht nur die ganze Bandbreite der
neuen Rechten, vom Kampf gegen „Überfremdung“, gegen die EU, für die
traditionelle Familie usw., sie übernimmt weitgehend unverblümt Sprache und
Inhalte der „Identitären“ oder sogar der „White Supremacists“ aus den USA (vgl. Le Monde, 30.4.2019).
2015 torpedierte der EKRE-Parlamentsabgeordnete Jaak
Madison, seit 2017 stellvertretender Parteivorsitzender, noch die
Koalitionsverhandlungen mit der Reformpartei durch Lobeshymnen auf die
Wirtschaftspolitik Nazi-Deutschlands, neben noch eindeutigeren
Sympathieerklärungen für den Nationalsozialismus von anderen
Parteimitgliedern, für die „weiße Rasse“ und die notwendige „nationale Reinigung“
Estlands (vgl. Baltikum-Blatt vom 16.10.2015). Inzwischen wird so etwas
bagatellisiert oder schlich übergangen: Ruuben Kaalep, Gründer und Vorsitzender der Parteijugend „Blaues
Erwachen“, bewegt sich ganz offen online und offline im Milieu von Identitären und Neonazis (auf entsprechende Links wird
hier verzichtet) und soll auch im Internet den Holocaust geleugnet haben
(laut SZ vom 29.4.2019, konnte ich nicht weiter nachprüfen). Martin Helme,
heute Finanzminister, vertrat nach der Parlamentswahl in einem Interviews mit
der Deutschen Welle die These von
der „Umvolkung Europas“ durch die organisierte Einwanderung, sein Vater Mart
Helme, heute Innenminister, drückte es noch drastischer aus: „Die
Einheimischen werden durch Neger ersetzt“ (Deutsche Welle, Conflict Zone, 13.3.2019). Die Beteiligung
der EKRE an der Regierung ähnelt somit der der „Wahren Finnen“ 2015 in
Finnland, nur sind die Minister der EKRE, die sie in die Regierung schicken
darf, persönlich weitaus rechter positioniert, als dies damals bei den
„Finnen“ der Fall war. Die Kluft zwischen radikaler Parteijugend oder -basis
und gemäßigter Führung existiert bei der EKRE nicht in der Form wie damals
bei den „Finnen“, was dort ja auch dann zur Spaltung der Partei und zur
Eliminierung der Gemäßigten geführt hat (siehe unten). Gleichwohl versucht
die Partei sich präsentabel für die Regierung zu zeigen. Dies könnte auch wie
in Finnland dazu führen, dass in der Regierung zu viele Kompromisse
geschlossen werden und die Parteibasis dagegen rebelliert. Ihre
Einbeziehung in die Koalition ist das Resultat der Uneinigkeit der
Demokraten, die ihre Gemeinsamkeit gegenüber ihrer Rivalität vergessen, ihre
kleinen Unterschiede zu großen machen, während die großen Unterschiede zu den
Rechtsextremen um der Macht willen verkleinert werden. Angesichts der
bevorstehenden Europawahl zeigt sich hier in einem kleinen Land ein leider
nicht so kleiner Trend. Und
dies angesichts der Tatsache, dass es dafür in Estland praktisch keine „materiellen“
Ursachen gibt: Die Immigration ist minimal, der Bevölkerungsanteil von
„Anderen“ (keine Europäer im geographischen Sinne) liegt bei 2,3%, die Zahl
der im Rahmen der EU-Verteilung aufgenommenen Flüchtlinge beläuft sich auf
310 (bei 1,3 Mio Einwohnern). Dazu kommen noch
einige Hundert Asylbewerber aus den Nachbarländern Russland,
Weißrussland und Ukraine. Der Anteil
der russischen Bevölkerung aus sowjetischer Zeit beträgt dagegen noch knapp
25%. Vor allem geht es jedoch Estland relativ gut, es hat den Übergang von
der sowjetischen Ära am besten gemeistert, gilt als Vorreiter der Moderne,
v.a. durch die Digitalisierung, das Pro-Kopf-Einkommen ist höher als in den
Nachbarländern, doch bedeuten die Nominalzahlen angesichts der
Währungsumrechnung immer wenig im Hinblick auf die reale Situation.
Kaufkraftbezogen liegt das BIP in Estland noch unterhalb des Mittelwerts im
europäischen Vergleich (76/100), nährt sich diesem jedoch von Jahr zu Jahr
an. Die Arbeitslosigkeit lag 2018 bei 4,2% und zwar ohne massive
Arbeitsemigration von Esten in andere Länder. Damit
wird einmal mehr deutlich, was ich auch in meinem Buch an anderen Beispielen,
v.a. innerhalb Deutschlands auf Ostdeutschland bezogen, verdeutlicht habe: Es
ist falsch, die Rechtsentwicklung auf Faktoren wie „Wendeverlierer“ usw. zu
reduzieren und damit zu erklären. Natürlich ist die gesamte gesellschaftliche
Entwicklung seit der Auflösung der Sowjetunion und des Ostblock im weiteren
Sinne durch Übergangsprobleme gekennzeichnet, an der auch die EU ihren Anteil
an Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen hat. In
Estland tritt jedoch der kulturelle
Faktor neonationalistischer Ideologie klar hervor, ohne materielle
Grundlage im Land (Immigration etc.). Die Erklärung politischer Phänomene
muss aus der Zwangsjacke der materialistischen Erklärung in der Spätfolge
marxistisch inspirierter Soziologie befreit werden, nicht nur die materielle
Basis bestimmt den kulturellen Überbau - sie tut es auch, aber nicht
ausschließlich -,vielmehr gibt es eine relative
Autonomie des Kulturellen, gerade in diesem Bereich. Natürlich gibt es
auch dafür Gründe in Geschichte und Gesellschaft, aber keine eindimensionale
Relation Dadurch…, dass im Sinne
einer Verallgemeinerung Wenn…, dann… . Deswegen
sind auch Hinweise darauf in Deutschland, dass eine „Weimarisierung“ der
politischen Verhältnisse nicht stattfinden könne, weil es keine
Wirtschaftskrise gebe, nicht stichhaltig (vgl. dazu mein Buch Weimar - Bonn -
Berlin, 2019). Dabei
wird man sehen, wie sich in der neuen Koalition die von den Rechtsradikalen
geforderte „ethnische Reinheit“ mit der Tatsache verträgt, dass die
Zentrumspartei diesmal zwar weniger, aber immer noch stark auch von der
russischen Minderheit gewählt wurde. Als Regierungskompromiss wurde der
Verbleib in der EU ausgehandelt, das ähnelt stark der Konstellation in
Finnland in den letzten fünf Jahren. Doch die Präsenz der EKRE in der
Regierung wird noch einmal mehr der EU zu schaffen machen. Die europäischen
Liberalen müssen sich überlegen, ob sie die Zentrumspartei so einfach in
ihren Reihen behalten wollen, und nach Orbáns Fidesz muss sich die EVP nun auch mit der estnischen
Vaterlandspartei in der Koalition befassen. |
Ergebnis der Parlamentswahl 2019: Konservative
Volkspartei EKRE >Wikipedia Zentrum Liberale Moderne LibMod )Markus
Schubert: „Ein Leuchtturm erlischt“, 24.4.2019 Vgl.
„Soldiers of Odin“ >Wikipedia Reinhard
Wolff: „Soldiers of Odin“ auf Patrouille, taz,
18.1.2016. Florian
Hartleb über die EKRE und die SOO: Anne-Françoise
Hivert: „L‘extrême-droite entre au gouvernement en Estonie“, Le Monde, 30.4.2019. „Estnische
Rechtsnationalisten demonstrieren gegen Flüchtlinge », Das Balikum-Blatt, 16.10.2015. Vgl. “Machthunger macht blind”, Das Baltikum-Blatt, 18.3.2019. Kai
Strittmatter: “Estnische Präsidentin bittet um ‘100 Tage ohne Hass’”, SZ, 29.4.2019. |
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„Die Finnen“ in Finnland nach der
Wahl. Wie die
Bekämpfung des Rechtspopulismus misslingt Allerdings hatte der Eintritt der
„Finnen“ unter Timo Soini in die Regierung Sipilä einen Konflikt in der
Partei und letztlich deren Spaltung gebracht, da die Regierungsbeteiligung
von der Mehrheit der Parteibasis und auch von vielen Wählen als Aufgabe der
eigenen Positionen bewertet wurde. Tatsächlich konnte man nicht viel von den
europafeindlichen und nationalistischen „Finnen“ in der Regierung erkennen,
obwohl sie dort wichtige Posten innehatten. Der Rückgang in den
Meinungsumfragen und dann die Halbierung der Stimmen bei der Kommunalwahl
2017 führte zu einem Aufstand in der Partei gegen die Führung, wodurch der
Repräsentant des rechtsextremen Flügels, Jussi Halla-aho, vom vorherigen
Parteichef als „der größte öffentlicher Rassist des Landes“ bezeichnet, neuer
Parteivorsitzender wurde. Dies erzwang den Austritt des moderaten Flügels und
der Mehrheit der Parlamentsfraktion, die an der Regierungsbeteiligung
festhielten und eine neue Partei gründeten, die aber bei der Wahl 2019 mit 1%
aus der politischen Landschaft eliminiert wurde. |
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